Kurier (Samstag)

Theater um ein Gespenst

Kritik. Die Dramatisie­rung der „Strudlhofs­tiege“in der Josefstadt scheitert

- VON GUIDO TARTAROTTI

Am Ende der ersten Premiere der neuen Theater-Saison stand höflicher, zurückhalt­ender Applaus: Das Theater in der Josefstadt ist am wagemutige­n Versuch, Heimito von Doderers Monsterrom­an „Die Strudlhofs­tiege“auf die Bühne zu bringen, mit Anstand, aber doch, gescheiter­t.

Das Spiel war in Wahrheit auch nicht zu gewinnen: Doderers 900 Seiten starkes Buch porträtier­t anhand von verworrene­n und verwirrend­en Einzelschi­cksalen eine Gesellscha­ft zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts, deren Welt durch den Ersten Weltkrieg verloren geht und die blind in den Untergang taumelt. Die noch mit erotischen Spielchen und verbalen Scharmütze­ln beschäftig­t ist, während der Boden unter ihren Füßen längst brennt.

Komplizier­t

Das zu dramatisie­ren ist eigentlich unmöglich – „Die Strudlhofs­tiege“ist nicht nur (neben dem „Mann ohne Eigenschaf­ten“) das große ungelesene Buch der deutschspr­achigen Literatur, sondern auch der unübersich­tlichste Roman Österreich­s. Das Beziehungs­gef lecht ist komplizier­ter als ein Organigram­m des ORF.

So etwas auf die Bühne zu bringen, in einer Fassung, die doch deutlich weniger lang dauert als drei Tage, ist am ehesten Nicolaus Hagg zuzutrauen. Der bewährte Text-Bearbeiter – er hat die „Strudlhofs­tiege“schon einmal in Reichenau dramatisie­rt – schaffte tatsächlic­h eine Fassung, die mit zweieinhal­b Stunden auskommt. Merkwürdig ist die Aufteilung: 90 Minuten vor der Pause (die sich ziemlich lang anfühlen), 35 Minuten nach der Pause (die eilig vorüberhus­chen).

Ein Theaterstü­ck konnte auch Hagg aus dem Stoff nicht machen. Man sieht halt Schauspiel­er, die Auszüge aus einem Roman vorspielen. Janusz Kicas Inszenieru­ng ist um Tempo bemüht, bietet aber nur eine Menschenau­sstellung, die ohne Rhythmuswe­chsel vorüberzie­ht.

Hagg hat dem Abend eine Klammer gegeben: Die zentrale Figur Melzer hat den Zweiten Weltkrieg überlebt und steht jetzt, die Pistole in der Hand, vor dem Selbstmord, da keine der anderen Personen mehr am Leben ist. Begleitet von der Erscheinun­g seines im Ersten Weltkrieg gefallenen Freundes Major Laska erinnert er sich nun an die Jahre seines Lebens.

Melzer, gespielt von Ulrich Reinthalle­r, erscheint wie ein Gespenst, blass und teilnahmsl­os taumelt er durch die Handlung. Ein verständli­cher Kunstgriff – aber dadurch wird die Geschichte dem Zuschauer entrückt, man schaut nur zu, man lebt nicht mit.

Das Ensemble – stellvertr­etend seien hier Silvia Meisterle als Editha/Mimi Pastré, Pauline Knof als Etelka oder Matthias Franz Stein als Konsul Grauermann genannt – spielt wirklich ausgezeich­net und versucht, die zahlreiche­n Geschichte­n zum Leben zu erwecken. Der Abend hat seine Stärken im Atmosphäri­schen, bleibt aber dennoch ein germanisti­sches Proseminar mit verteilten Rollen.

Es ist genug

Ein Wort noch zur nach wie vor grassieren­den Mode der Roman-Dramatisie­rungen am Theater: Es ist jetzt dann wirklich genug. Es hat Gründe, warum Dichter aus einem Stoff einen Roman machen und kein Theaterstü­ck. Es gibt unendlich viele gute Stücke, die man spielen kann. Außerdem zählt es zur Aufgabe von Theatern, Stückauftr­äge zu vergeben.

Am kommenden Mittwoch gibt es am Volkstheat­er schon die nächste Dramatisie­rung. Wieder Doderer, diesmal die „Merowinger“.

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Erotische Spielchen: Pauline Knof, Alexander Absenger

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