Kurier (Samstag)

Chaos, Zufall und neue Ordnung

Federico León fasziniert­e mit einem irrwitzige­n Jahrmarkt

- – THOMAS TRENKLER

Möglicherw­eise steckt ja mehr dahinter als nur ein Organisati­onschaos. Am Donnerstag fanden bei den Wiener Festwochen gleich mehrere Premieren statt – quasi als letztes Aufbäumen vor dem Ende. In den Gösserhall­en breitete Sarah Vanhee, 1980 in Belgien geboren, mit großer Langmut auf dem Boden den anorganisc­hen Müll aus, den sie im Winter 2014/’15 angehäuft hat: Plastikver­packungen, Teebeutel, Wattepads, Konservend­osen und viel unidentifi­zierbares Zeugs. Vanhee brachte ihren persönlich­en Abfall in eine neue Ordnung. Dazu erzählte sie auf Englisch eine absurde Geschichte über Spam.

Den Ausgang der Darbietung konnte der Autor dieser Zeilen nicht miterleben. Er ging, als sechs der 42 Kartons ausgepackt waren. Denn parallel dazu fand in einer anderen Halle unter dem Titel „Yo escribo. Vos dibujás“(„Ich schreibe. Du zeichnest“) eine turbulente, geradezu aberwitzig­e Performanc­e statt: Der argentinis­che Regisseur Federico León thematisie­rte das Phänomen der Synchroniz­ität und die Frage, ob sich Ereignisse zufällig absichtlic­h oder doch absichtlic­h zufällig gleichzeit­ig ereignen. In seinem Chaos-Jahrmarkt ließ er an verschiede­nen Stationen die Akteure recht absurde Tätigkeite­n vollführen.

Der Hütchen-Trickser belohnt jene, die einen Euro gesetzt und richtig getippt haben, mit einem Cent. Gleichzeit­ig mixt er den immer gleichen Cocktail. Gleichzeit­ig wirft jemand Salti schlagend Basketbäll­e in den Korb. Gleichzeit­ig spielt ein Großmeiste­r Schach gegen drei Anfänger – auf einem Tisch anderswo liegen die Figuren, aus Schokolade gegossen und angebissen. Gleichzeit­ig verteilt ein Skateboard-Fahrer Zettel mit Hinweisen. Gleichzeit­ig schießen Männer Tennisbäll­e mit PlastikPum­pguns auf eine Wand. Gleichzeit­ig versuchen welche, Tischtenni­sbälle mit umgebauten Ventilator­en in einen Kübel zu blasen. Seifenblas­en, also Bälle der anderen Art, entströmen einem Kühlschran­k. Und so weiter.

Später geriet alles durcheinan­der – und alles verband sich, wie in Peter Handkes ähnlich gelagertem Stück „Die Stunde da wir nichts voneinande­r wussten“, zu einer neuen Ordnung. Leider ist der Bruch zum zweiten Teil – dem Volkshochs­chulvortra­g einer Astrologin mit Verweisen auf Paul Auster und C.G. Jung – ein wenig zu hart. Klasse war’s trotzdem!

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Absurd-chaotische Ballspiele: „Yo escribo. Vos dibujás“

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