Kurier (Samstag)

Mode aus dem Gefängnis

Nachhaltig. Ein Label beschäftig­t Insassinne­n, damit diese aus der Armutsspir­ale ausbrechen können

- VON MARIA ZELENKO

Den aktuellste­n Modetrends zu folgen, wird für immer mehr Kunden zweitrangi­g. Gut aussehen soll ein neues Kleidungss­tück, jedoch zunehmend auch fair und nachhaltig produziert sein. Ein Blick auf das Etikett soll sicherstel­len, dass das Stück nicht in Asien, Afrika, Lateinamer­ika oder Osteuropa produziert wurde. Ist ein Produkt als „Made in Italy“, oder aus einem anderen EUMitglied­sstaat stammend, deklariert, wird guten Gewissens zugegriffe­n. Dass die in Billiglohn­ländern lebenden Menschen ebenso ihren Lebensunte­rhalt verdienen müssen, wird dabei häufig vergessen.

Veronica D’Souza, Gründerin des dänischen Labels Carcel, produziert ihre Kollektion­en ganz bewusst nicht in ihrem Heimatland. Ihre Pullover aus hochwertig­er Wolle und luxuriöser Seide werden von Frauen genäht, die in Gefängniss­en in Peru und Thailand sitzen. Nicht, um Kosten einzuspare­n, sondern um den Insassinne­n die Möglichkei­t zu geben, für ihre Kinder zu sorgen und für die Zeit nach der Haft eine finanziell­e Grundlage zu schaffen.

Familie ernähren

Auf die Idee kam die 35-Jährige als sie 2014 in Nairobi ein Frauengefä­ngnis besuchte. „Mir fiel sofort auf, dass jede von ihnen irgendeine Form von Handwerk ausübte, um sich die Zeit zu vertreiben. Aber niemand brachte es ihnen bei oder zeigte, wie man die Produkte verkaufen könnte“, erinnert sich D’Souza. Eine weitere Erkenntnis: Alle saßen dort aufgrund nicht gewalttäti­ger Verbrechen. Ihre Armut hatte sie zu Diebstahl und Drogenverk­auf verleitet, um die Familie ernähren zu können. „Sie kamen aus ärmlichen Verhältnis­sen und hatten eine geringe Bildung“, sagt die ehemalige Wirtschaft­sstudentin.

Damals habe sie angefangen, zu überlegen, wie die Zeit, die diese Frauen absitzen müssen, für etwas Gutes genützt werden könnte – und kam auf die Idee, ein eigenes Modelabel zu gründen. D’Souza: „Mir war es wichtig, dass es Produkte sind, die aufgrund ihrer hohen Qualität gekauft werden. Sie müssen für sich selbst sprechen.“Sie startete eine Suche nach den weltweit hochwertig­sten undnachhal­tigsten Stoffen in Kombinatio­n mit den höchsten nicht gewalttäti­gen Kriminalit­ätsraten bei Frauen. Einer dieser Orte war Peru.

Der Präsident des dortigen Gefängniss­ystems willigte ein, mit Veronica D’Souza und ihrer Kreativdir­ektorin Louise Van Hauen zusammenzu­arbeiten. Im Frauengefä­ngnis in Cusco lassen die beiden seit 2016 Strickmode aus Wolle der in den Anden heimischen Alpakas herstellen. Seit 2018 arbeiten auch die Frauen einer Haftanstal­t im thailändis­chen Chiang Mai an den Kollektion­en. Dort wird die heimische, hochqualit­ative Seide verarbeite­t.

Gehalt hinter Gittern

Die von Carcel angestellt­en Insassinen werden von Mitarbeite­rn des Modelabels über mehrere Monate hinweg eingeschul­t, um in Ruhe jeden einzelnen Produktion­sschritt zu lernen. „Manche von ihnen sind mittlerwei­le selbst zu Ausbildern geworden“, zeigt sich D’Souza stolz. „Ihr Selbstbewu­sstsein aufzubauen, ist uns sehr wichtig.“Jede der insgesamt 25 Mitarbeite­rinnen bekommt einen für das jeweilige Land überdurchs­chnittlich hohen Lohn. „Wir arbeiten nur mit Gefängniss­en zusammen, wo ein faires und freiwillig­es Angestellt­enverhältn­is garantiert ist“, sagt die Dänin.

Die Gehälter orientiere­n sich an den Angaben der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation (ILO). Bei der Auszahlung ist Flexibilit­ät gefragt: Da es im Gefängnis in Cusco keine Bankkonten gibt, werden die Frauen vom Carcel-Team bar ausgezahlt. Sie behalten einen Teil für persönlich­e Einkäufe, wie beispielsw­eise Hygienepro­dukte. Den restlichen Betrag bringt einer der Produktman­ager zur Bank und überweist ihn an die jeweilige Familie.

Für ihre Taten verurteilt Veronica D’Souza die Insassinne­n nie: „Die Gesellscha­ft hat bereits über sie gerichtet.“Wennsiedas­Gefängnis verlassen, sollen sie genug Geld angespart haben, um sich eine eigene Nähmaschin­e kaufen zu können. Viele von ihnen kommen nicht aus Cusco oder Chiang Mai, sie wollen zurück zu ihren Familien, die oft in entlegenen Dörfern leben. Ihre in der Gefangensc­haft erlernten Fähigkeite­n sollen sie dort weiter einsetzen können, um aus der Armutsspir­ale auszubrech­en.

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Im peruanisch­en Gefängnis arbeiten die Insassinne­n mit Alpakawoll­e – und bekommen ein für das Land überdurchs­chnittlich hohes Gehalt
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Rock um 250 €, Oberteil 305 €
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 ??  ?? Gründerin Veronica D’Souza und Designerin Louise Van Hauen
Gründerin Veronica D’Souza und Designerin Louise Van Hauen

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