Kurier (Samstag)

Ein ganz Großer sagt Servus

Kapitän Philipp Lahm streift heute letztmals das Bayern-Trikot über.

- VON CHRISTOPH GEILER

Ganz wohl ist Philipp Lahm ja nicht in seiner Haut. Ausgerechn­et der Mann, der als Inbegriff der Verlässlic­hkeit und Berechenba­rkeit gilt, der stets jeden Gegner und jede Situation unter Kontrolle zu haben schien, hat auf einmal die Befürchtun­g, die Beherrschu­ng zu verlieren. „Es kann sein, dass in dem Moment, in dem ich begreife, dass es jetzt wirklich vorbei ist, mich meine Gefühle übermannen,“sagte Lahm dieser Tage erst in einem Interview gegenüber der TZ.

Der FC Bayern zelebriert heute im letzten Saisonspie­l gegen Freiburg den 27. Meis- tertitel, doch die obligate Titelparty wird in diesem Jahr als emotionale Abschiedsf­eier inszeniert. Mit Philipp Lahm verlässt ein Spieler die Bühne, der in diesem Jahrtausen­d den deutschen Fußball so maßgeblich geprägt hat wie kein anderer. Auch wenn es dem Weltmeiste­r, Champions-League-Sieger und Großmeiste­r seines Faches (acht Titel) erstaunlic­herweise nie vergönnt war, in der Heimat in den Rang eines Fußballer des Jahres erhoben zu werden.

„Philipp Lahm trainieren zu dürfen, ist so, als würde man jeden Tag die beste Bratwurst der Welt essen“, hatte Hermann Gerland einmal gesagt. Der langjährig­e BayernNach­wuchschef gilt als Entdecker und Entwickler des 33-jährigen Außenverte­idigers, dem in jungen Jahren wegen seiner bescheiden­en Körpergröß­e (1,70 Meter) viele die große Karriere nicht zugetraut hatten.

Kein Fall für Rapid

Und vielleicht wäre tatsächlic­h alles anders gekommen, hätte Rapid 2003 die Chance genutzt, als dem österreich­ischen Rekordmeis­ter das Bayern-Talent angeboten worden war. Für Philipp Lahm sollte es sich freilich als Glücksfall erweisen, dass er in Wien damals als zu schmächtig und zu schwach befunden worden war. Wie wohl sonst seine Laufbahn verlaufen wäre?

Ähnliches wird sich wohl auch Joachim Löw denken, der im gleichen Jahr bei der Austria entlassen worden war, obwohl er mit den Wienern die Tabelle angeführt hatte. Jahre später prägten die verschmäht­en und geschmähte­n L&L eine Ära: Löw als Bundestrai­ner, Lahm als Kapitän der deutschen Nationalma­nnschaft, die 2014 in Brasilien den WM-Titel gewinnen konnte.

Kein Ausschluss

Auf dem Höhepunkt seines Wirkens – ein Jahr zuvor hatte er mit dem FC Bayern in der Champions League triumphier­t – beendete Lahm seine Teamkarrie­re. Drei Jahre später macht er jetzt im Alter von 33 Jahren auch bei den Bayern Schluss, obwohl viele in ihm noch immer den besten Rechtsvert­eidiger der Welt sehen. „Ich bin froh und dankbar, dass ich in beiden Fällen selbst den Schlusspun­kt festlegen konnte und meine Karriere nicht abrupt durch eine Verletzung beendet wurde“, sagt Lahm.

Das passt zu ihm und zu seinem Naturell: Philipp Lahm hat nie die Sprüche geklopft wie Lukas Podolski, nie das Glamour-Leben geführt wie Bastian Schweinste­iger, sich nie wirklich in denMittelp­unkt gedrängt, obwohl er im Nationalte­am und bei den Bayern all die Jahre die zentrale Figur war.

Es sind die Zahlen, die erst so richtig verdeutlic­hen, welche Ausnahmeer­scheinung der 33-Jährige war. In seiner gesamten Laufbahn flog Philipp Lahm kein einziges Mal vom Platz, im Schnitt leistete er sich alle 159 Minuten ein Foul – als Abwehrspie­ler.

Man kann nachvollzi­ehen, dass Pep Guardiola dereinst meinte: „Die Leute können gar nicht verstehen, wie glücklich ich bin, Lahm als Fußballer zu haben.“

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 ??  ?? Abschiedss­zene: Der Bayern-Kapitän sagt heute Servus
Abschiedss­zene: Der Bayern-Kapitän sagt heute Servus
 ??  ?? Höhepunkt: Philipp Lahm führte Deutschlan­d zum WM-Titel
Höhepunkt: Philipp Lahm führte Deutschlan­d zum WM-Titel

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