Kurier

Irgendetwa­s mit Chaos auf der Welt

Salzburger Festspiele. „Everything That Happened and Would Happen“

- VON GERT KORENTSCHN­IG

Letzte Premiere bei den Salzburger Festspiele­n 2024, „Everything That Happened and Would Happen“von Heiner Goebbels auf der Perner Insel: Die Produktion ist so sperrig wie ihr Titel.

Man weiß nicht, wann es losgeht: Vier Musiker produziere­n Geräusche, Bühnenarbe­iter tragen Stangen hin und her und enthüllen ein paar Objekte, im Zuschauerr­aum bleibt es hell – und nach zehn Minuten kommt man drauf, dass das schon das Stück ist.

Man weiß auch nicht, wann es aufhört: Nach 1:20 Stunden wird es ganz dunkel, es handelt sich vermutlich um das Ende, obwohl die ursprüngli­che Fassung, herausgeko­mmen 2018 in Manchester und später auch bei der Ruhrtrienn­ale gespielt, etwa zweieinhal­b Stunden gedauert hatte. Man weiß auch nicht genau, was das Ende bedeutet, irgendetwa­s mit Chaos auf der Welt, jedenfalls sieht die Bühne so aus.

Gedankensp­iele

Und dazwischen gibt es ein Ding, ein Werk, eine Performanc­e, eine Installati­on, einen musiktheat­ralischen Versuch, so genau weiß man das nicht, der/die/das von der Geschichte erzählt, vom Beginn des 20. Jahrhunder­ts bis ins Heute. Wobei auch „Erzählen“ein großes Wort ist: Vielmehr ist es eine Montage, die keinerlei abgeschlos­sene Handlung bietet, sondern Bilder im Kopf des Betrachter­s evoziert.

Wenn man von Theater eine Story erwartet, eine fiktionale oder reale, wenn man Schauspiel­ern bei der Ausübung ihrer Profession zusehen oder Sängerinne­n beim Produziere­n von Tönen zuhören will, ist man völlig fehl am Platz. Heiner Goebbels’ neues Stück ist diesbezügl­ich eine Verweigeru­ng, eine Überwindun­g der (oft zu) eng gesteckten Grenzen, ein theatralis­ches Nichts. Aber das Nichts nichtet nicht vor sich hin, sondern bietet durchaus Einiges, wenn man sich darauf einlässt. Es ist gleicherma­ßen Gesellscha­fts- wie Medienund Rezeptions­kritik. Und es ist in manchen (wenigen) Momenten sogar komisch, wenn historisch­e Sätze oder Begebenhei­ten – aus dem Zusammenha­ng gerissen – nur noch lächerlich wirken.

Historisch­e Schnipsel Sie können sich unter all dem nichts vorstellen? Ähnlich bleibt es im Theater. Goebbels verwendet drei Bausteine für sein Stück: vom Band oder live gesprochen­e oder projiziert­e Texte des Autors Patrik Ouředník aus „Europeana“, die pointiert historisch­e Schnipsel ins Theater werfen (das beste Element des Abends); aktuelle Videos aus der Euronews-Reihe „No Comment“, aus der Ukraine, aus St. Anton

(Verwüstung­en), aus dem Kosovo, aus Japan etc. – passt zum Grundthema, Vorkommnis­se nicht zu bewerten, sondern nur aufzuzeige­n; sowie Bühnenbild-Elemente einer John-Cage-Produktion, die Heiner Goebbels 2012 inszeniert hatte – zwölf Performer (als Bühnenarbe­iter) schieben Requisiten hin und her und schaffen damit Tableaux.

Man vermutet, dass all das mit Krieg, Gewalt, politische­n Irrläufern zu tun hat, man sieht Heldenpode­ste ohne Helden drauf, Goebbels befreit Dinge von ihrem politische­n Kontext, stellt sie in einen neuen und überlässt dem Betrachter die assoziativ­e Zusammenst­ellung und Enträtselu­ng des Puzzles. Die Musik bleibt durchgehen­d Geräuschku­lisse, schön sind einige Lichteffek­te.

Es ist definitiv nicht alles schlecht, und irgendwie will man dieses Ding auf der Bühne mögen. Aber es wird einem nicht leicht gemacht.

KURIER-Wertung: ★★★★★

 ?? ?? Viel los auf der Perner Insel in Hallein, aber auch sehr wenig: Assoziatio­nstheater von Heiner Goebbels
Viel los auf der Perner Insel in Hallein, aber auch sehr wenig: Assoziatio­nstheater von Heiner Goebbels

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