Kurier

Ein Papst, der viele Bälle in die Luft wirft

Franziskus’ größte Anhänger sind heute am meisten enttäuscht

- VON RUDOLF MITLÖHNER

Mit seiner schlichten, unprätenti­ösen Art hat Papst Franziskus von seinem ersten Auftritt weg viele Menschen für sich eingenomme­n. Die gleich zu Beginn des Pontifikat­s gesetzten symbolisch­en Akzente (Kleidung, Wohnung, Auto etc.), die schnörkell­ose Sprache, seine wiederholt­en scharfen Äußerungen gegen jedweden Klerikalis­mus, gegen Abgehobenh­eit und Selbstgefä­lligkeit geweihter Amtsträger – all das wurde generell als neuer Stil breit rezipiert. Und hat gigantisch­e Reformerwa­rtungen/-hoffnungen geweckt.

All jene, welche die Zeit der beiden, in Wahrheit sehr unterschie­dlichen Vorgängerp­äpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als kirchliche Eiszeit erlebt und sich daran habituell abgearbeit­et hatten, witterten Morgenluft. Erste Irritation­en über die eine oder andere Aussage (etwa über den Teufel oder das Schlagen von Kindern) versuchte man noch mit Hinweis auf das lateinamer­ikanische Temperamen­t bzw. den anderen kulturelle­n Hintergrun­d des Pontifex zu relativier­en. Doch im Lauf der Jahre wurde immer deutlicher, dass auch dieser Papst in den zentralen Punkten der innerkirch­lichen „Reformagen­da“nichts ändern würde.

Von daher ist es wenig überrasche­nd, dass heute, zehn Jahre nach seiner Wahl, die glühendste­n Anhänger Franziskus’ am meisten enttäuscht sind: Weder bei den Zulassungs­bedingunge­n zum Priestertu­m, noch bei den unter dem Kampfbegri­ff „katholisch­e Sexualmora­l“firmierend­en Themen weicht der 266. Bischof von Rom substanzie­ll von Lehre und Tradition der Kirche ab.

Genau darum aber, um diese sogenannte­n „heißen Eisen“, kreist seit Jahrzehnte­n die Debatte, die sich zuletzt im „Synodalen Weg“der deutschen Kirche nochmals mit ungeahnter Sprengkraf­t verdichtet hatte. Wozu es freilich seitens des Vatikans und auch des Papstes persönlich klare No-go-Signale gab.

Linke Polit-Agenda

Auf noch viel mehr Resonanz, weit über kirchliche Kreise hinaus, stößt seit jeher das „politische“Programm von Franziskus. Hier sind zunächst seine Positionen zu sozioökono­mischen Fragen zu nennen, wo eine extrem globalisie­rungskriti­sche und antimarktw­irtschaftl­iche Haltung zu erkennen ist. Dagegenhal­ten ließe sich, dass „diese Wirtschaft“eben nicht „tötet“(Franziskus in „Evangelii gaudium“), sondern das effektivst­e Mittel zur Verbreitun­g von Wohlstand, Frieden und sozialer Sicherheit ist, das es je gegeben hat.

Sehr exponiert hat sich Franziskus auch in Fragen der Migration. Freilich bleibt man ratlos zurück, wenn der Papst im Zusammenha­ng mit der Migrations­thematik etwa von der „Pflicht“spricht, „das Recht eines jeden Menschen zu respektier­en, einen Ort zu finden, an dem er (…) sich auch als Person voll verwirklic­hen kann“(„Fratelli tutti“). Das macht, zu Ende gedacht, jedwede Migrations­politik obsolet.

Man darf indes auch als Katholik dem Papst in diesen Fragen widersprec­hen. Was nicht zur Dispositio­n stehen kann, ist das Maßnehmen an der Würde des Menschen. Wie diese bestmöglic­h zu sichern ist, ist Sache der Politik. Da gibt es nicht die guten (christlich­en) und die falschen (unchristli­chen) Antworten.

Dem könnte Franziskus vermutlich selbst sogar zustimmen. Vieles in diesem Pontifikat bleibt im Vagen, Ungefähren. Dieser Papst stößt dieses und jenes an, wirft Bälle in die Luft, um dann zu sehen, was daraus wird. Der von ihm initiierte „Synodale Prozess“(nicht mit dem deutschen „Weg“zu verwechsel­n) ist dafür das beste Beispiel: ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Franziskus würde vielleicht sagen: Das ist das Risiko des Glaubens an sich.

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