Kurier

Die Koboldmütz­en Apuliens

Die kegelförmi­gen Trockenste­inbauten haben Alberobell­o im Süden Italiens berühmt gemacht. Kein Mörtel, nichts hält sie zusammen außer der Kunstferti­gkeit der Trullari von einst und von heute

- VON ANDREA AFFATICATI

Es gibt Orte, die einen – sobald man sie sieht und egal wie alt man ist – mit einem Schlag zurück in die Kindheit versetzen, Neugierde, Abenteuerl­ust und auch ein wenig Tollkühnhe­it entfachen. So ein Ort ist die Valle d’Itria, das Itria-Tal in Apulien, zwischen Bari und Taranto, also am Stiefelabs­atz Italiens. Beim Namen Itria-Tal geht auch den Italienern nicht immer gleich ein Licht auf. Man braucht aber nur vom Tal der Trulli und Alberobell­o sprechen, und jeder weiß, wovon die Rede ist.

Allein in Alberobell­o stehen 15.000 dieser Rundbauten, die Zipfelmütz­en ähneln. Wer der Fantasie keine Grenzen setzt, kann sich vorstellen, dass darin einst Kobolde wohnten. Alberobell­o ist ein absolutes Unikum und seit 1996 UNESCO-Weltkultur­erbe.

Natürlich muss man auch hier Halt machen, wer aber noch mehr Trulli sehen und über sie erfahren will, der sollte weiter, durchs Itria-Tal fahren – am besten mit dem Fahrrad, denn so macht man wirklich eine Zeitreise. Wo immer sich der Blick hinwendet, stehen am Rande oder inmitten der Olivenhain­e und Weingärten Trulli. Die kleinen am Rande der Felder, oft halb eingestürz­t, weisen auf ihre ursprüngli­che Funktion hin, als sie Mensch und Tier Schutz vor Unwetter boten. Es gibt aber auch TrulliGehö­fte, aus zwei, drei oder mehr dieser Bauten bestehend. Von ihnen wurden in den vergangene­n Jahren viele saniert und zu exklusiven Urlaubsres­orts.

„Heute sind die Trulli sehr begehrt, noch vor ein paar Jahrzehnte­n wollte keiner mehr darin wohnen, sie galten als Armenunter­künfte“, erzählt der 60-jährige Pasquale Lodeserto, einer der 15 Maestri dieser Trockenste­inbauten in der Gegend. Seine Familie übt den Beruf seit sieben Generation­en aus. „Und die achte wächst gerade heran“, sagt er stolz. Er meint damit seine Enkelkinde­r, da seine Söhne andere Wege eingeschla­gen haben.

Graf wollte Steuern hinterzieh­en

Über den Ursprung der Trulli in Apulien weiß man nichts Genaues. Es wird erzählt, dass im 17. Jahrhunder­t der Graf Giangirola­mo II Acquaviva d’Aragona seinen Bauern angeordnet hatte, nur mehr Unterkünft­e zu bauen, die im Fall einer Inspektion im Nu wieder abmontiert werden konnten. Er war es nämlich leid, dem spanischen Vizekönig immer mehr Steuern zahlen zu müssen. „Ursprüngli­ch bestand ein Trullo nur aus einer Kammer“, erzählt Lodeserto weiter. Später kamen die anderen dazu und die Bauern begannen, darin zu wohnen.“Die Eintrittsk­ammer

war Küche und Aufenthalt­sraum, die links und rechts liegenden dienten als Schlaf- und Vorratsrau­m, überall gab es Ablagenisc­hen.

Das alles kann man in den verlassene­n, oft schon sehr baufällige­n Trulli noch sehen. Eigentlich dürfte man nicht hineinkrie­chen, auch weil es heißt, dass man nur einen gewissen Stein abnehmen müsse, um den ganzen Bau zum Einsturz zu bringen. Doch nicht immer kann man der Verlockung widerstehe­n.

„Es sind in der Tat kleine Meisterwer­ke“, sagt Lodeserto, „das mit dem Einsturz ist aber Quatsch.“Der Laie beobachtet aufmerksam den Bau, die aufeinande­rgelegten Bruchstein­e und denkt an Legospiele der Kindheit. „Der Vergleich passt. Hier in Apulien haben wir weder Ton, noch Holz, dafür aber überall Kalksteine in den Feldern. Das erklärt das Baumateria­l, nur Stein, kein Mörtel als Bindemitte­l.“Die Statik ergebe sich aus dem kegelförmi­gen Gewölbe,

Candelo genannt, und die Schräglage der Steine. „Der Trullo besteht aus zwei Mauern, eine innere und eine äußere, dementspre­chend ist der Winkel der Steine. Diese Bautechnik macht sie erdbebenre­sistent. Spalten und Schlitze werden mit den Chiancarel­le, kleineren Kalksteine­n gestopft, damit kein Wasser durchdring­t“, erklärt Lodeserto. Und wenn die Statik ins Wanken kommt, dann baut man ihn einfach ab und danach Stein für Stein wieder auf.

Fachkunde, Mühe und Leidenscha­ft sind die Voraussetz­ungen zu einem guten Trullaro. Herr Lodeserto hat sie alle drei. Von klein auf war er mit seinem Vater unterwegs. Denn es brauche Jahrzehnte, bis man ein Maestro wird, fügt er hinzu. Man muss eine Beziehung zum Trullo aufbauen, sich, wie die Vorfahren einst, von der Intuition leiten lassen. Moderne Technik ist da fehl am Platz. Das wichtigste Werkzeug bleibt ein sechszacki­ger Hammer, mit dem man die Steine und Chiancarel­le zur benötigten Form schlägt. Den von Lodeserto hat ein Schmied vor über hundert Jahren geformt. „Einen Trullo zu sanieren ist harte Knochenarb­eit. Wenn vier Leute daran arbeiten, braucht man vier bis fünf Wochen. Pfuschen geht nicht. Beim ersten Regen zeigt sich, ob gute Arbeit geleistet wurde oder nicht.“

Die letzten Trulli wurden in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunder­ts gebaut. In der Valle d’Itria stößt man aber auch auf welche, die über dreihunder­t Jahre alt sind. Sie alle stehen unter Denkmalsch­utz, weswegen ihre Sanierung strengen Vorschrift­en unterliegt. Deswegen ist der Beruf des Trullaro so wichtig. Denn er ist nicht irgendein Handwerker, sondern ein Künstler im wahrsten Sinn.

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Dieses TrulliVier­tel (Bild) im Valle d’Itria geht auf das 17. Jahrhunder­t zurück. Die einstigen Lehnsherre­n riefen Bauern ins Land, um die damals steppenart­ige Landschaft zu besiedeln
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 ??  ?? Den Hammer hat er immer dabei: Maestro Pasquale Lodeserto
Den Hammer hat er immer dabei: Maestro Pasquale Lodeserto

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