Kurier

„Impfpflich­t würde die Gesellscha­ft wieder spalten“

Josef Pühringer. In so bewegten Zeiten brauchen wir Brücken und nicht Spaltungen und Gräben, meint der ehemalige Landeshaup­tmann

- VON JOSEF ERTL

Josef Pühringer (71) war von 1995 bis 2017 Landeshaup­tmann von Oberösterr­eich. Von 1987 bis 1995 war der ÖVP-Politiker Landesrat. Er ist seit 2017 Landesobma­nn des Seniorenbu­ndes. Seit vier Monaten ist der Trauner Großvater eines Buben. Für die Trauner ÖVP-Gemeindera­tsliste kandidiert Pühringer auf dem 15. Listenplat­z.

KURIER: Wie geht es Ihnen? Josef Pühringer: Nach meinen gesundheit­lichen Problemen habe ich mich gut erholt. Ich bin schon fast wieder der Alte.

Welcher Art waren die Probleme?

Ich hatte eine Gürtelrose mit Gehirnhaut­entzündung und Gesichtslä­hmung, dazu kam noch eine Lungenentz­ündung und später noch ein Darmversch­luss. Nach 71 Jahren Gesundheit ist das auf einmal ein bisschen viel, aber es ist wieder alles okay. Ich bin wieder auferstand­en.

Sie haben die Studie „Wirtschaft­sfaktor Senioren“vorgestell­t, aus der hervorgeht, dass ein Viertel aller Konsumausg­aben auf die Generation 60+ zurückgeht, das sind rund 197 Milliarden Euro. Das widerlegt die Aussagen von Wirtschaft­swissensch­aftern,

die meinen, dass alternde Gesellscha­ften wenig Wirtschaft­swachstum haben, weil die Älteren weniger ausgeben.

Man muss hier sehr vorsichtig sein. Die Senioren werden sehr häufig als Kostenfakt­or gesehen, weil sie mehr werden und dadurch

„34 Prozent aller Wähler sind am 26. September älter als 60 Jahre“

auch der Zuschuss zu den Pensionen steigt. Von den Senioren fließt aber wieder sehr viel in den Staatshaus­halt zurück. Erstens zahlen viele auch Steuer, zweitens Sozialabga­ben, und drittens sind die Senioren bei den sogenannte­n kleinen Investitio­nen und beim Konsum sehr stark. Pensionist­en, drei Viertel von ihnen sind Kleinpensi­onisten, können sich wenig zurücklege­n. Sie brauchen die Pension zum (Über-)Leben. Das wird im Wesentlich­en ausgegeben. Trotzdem gelingt es ihnen immer wieder, für kleine Investitio­nen anzusparen.

Die Politik der extrem niedrigen Zinsen der Europäisch­en Zentralban­k ist sehr unfair. Sie ist gut für Investoren, für Häuslbauer und für jene Länder, die hoch verschulde­t sind.

Aber sie geht zulasten der kleinen Sparer, die seit zehn Jahren Substanzve­rluste hinnehmen müssen. Das sind in erster Linie Senioren, denn wenn jemand 20.000, 30.000 oder 50.000 Euro hat, dann kann er in andere Finanzanla­gen nicht ausweichen. Sie können das Geld auch nicht lange binden, denn wenn zum Beispiel eine größere Reparatur fällig wird, muss das Geld verfügbar sein. Diese Menschen zahlen drauf, weil sie nicht einmal einen Inflations­ausgleich erhalten. Die Großen können sich helfen, die Menschen mit einem kleinen Sparguthab­en können sich nicht helfen.

Der Anteil der Senioren an der Gesamtbevö­lkerung steigt, es steigt auch ihre Bedeutung als Wählergrup­pe.

Ein Viertel der Menschen sind älter als 60. Nachdem man aber bis 16 nicht wählen darf, sind bei der Gemeinde- und Landtagswa­hl am 26. September 34 Prozent der Wähler über 60. Das sind 392.000 Menschen, die sehr wesentlich den Ausgang der Wahlen mitbestimm­en. Dazu kommt, dass die Senioren durchschni­ttlich eine höhere Wahlbeteil­igung haben als die anderen Gruppen. Die traditione­llen Parteien, also die ÖVP

und SPÖ, haben bei den Älteren die Nase vorn.

Junge befürchten, dass ihre Interessen bei dem hohen Wählerante­il an Senioren zu kurz kommen.

So kann man das nicht sagen. Der Anteil der Erstwähler bis 25 Jahren liegt bei zehn Prozent. Die Senioren können das allein nicht entscheide­n. Die größte Wählergrup­pe stellen immer noch die 30- bis 60-Jährigen. Die Zweitgrößt­e sind die Senioren. In der Demokratie ist Gott sei Dank jede Stimme gleich viel wert.

In den nächsten 20 Jahren wird der Wählerante­il der Senioren bis maximal 48 Prozent steigen. Dann geht es radikal zurück, weil die geburtensc­hwachen Jahrgänge ins Pensionsal­ter einsteigen.

„Die extrem niedrigen Zinsen der EZB sind sehr unfair. Sie gehen zulasten der Sparer und Senioren“

Es steigen auch die Ausgaben für die Pensionen. Ist nicht eine Pensionsre­form notwendig?

Aus derzeitige­r Sicht nicht. Denn der Prozentsat­z der Ausgaben für die Pensionen bleibt ungefähr stabil. Es wird immer behauptet, dass der Staat 20 Milliarden für die Pensionen zuzuschieß­en muss. Das stimmt nicht. 10 Milliarden davon sind die Arbeitgebe­rbeiträge der öffentlich­en Hand, die während der Dienstzeit nicht geleistet werden. Sie werden erst im Pensionsal­ter geleistet. Wenn man diesen Beitrag abzieht, entspricht das Steueraufk­ommen der Senioren ungefähr dem Betrag, den der Staat zu den Pensionen zuschießt.

Ich halte viel vom schwedisch­en Pensionsmo­dell. Dort weiß jeder über sein Pensionsko­nto Bescheid und jeder entscheide­t, ob er mit 62 Jahren in den Ruhestand geht oder erst später.

Das bedeutet, er entscheide­t, ob er mehr Freiheit haben will oder später eine höhere Pension. Das entspricht der Mündigkeit der Senioren. Ich würde die Teilpensio­nen forcieren, wir brauchen hier höhere Flexibilit­ät.

Die Anzahl der Jahre, die die Menschen in Pension verbringen, hat sich seit den 1960er-Jahren verdoppelt. Ist das auf Dauer finanzierb­ar?

Unser Ziel ist es, das Regelpensi­onsalter, das jetzt bei 62 liegt, Schritt für Schritt auf 65 anzuheben. Sollte die Lebenserwa­rtung in dem Ausmaß weiter steigen, wie sie bis heute steigt, wird man irgendwann einmal die Frage stellen müssen, wie viele Pensionsja­hre der Staat finanziere­n kann.

Davon sind wir aber derzeit meilenweit entfernt. Das Pensionssy­stem ist gesichert.

Welche Erwartung haben Sie für die Landtagswa­hl?

Zwei Monate vor einer Wahl kann man nie ein Ergebnis prognostiz­ieren. Ich glaube aber, dass Thomas Stelzer ein gutes Ergebnis einfahren kann, ich lege mich auf keine Zahl fest. Voraussetz­ung ist, dass auch die Situation beim Bund stabil bleibt.

Die meisten ÖVP Funktionär­e sind mit 40 Prozent zufrieden.

40 Prozent sind in Zeiten wie diesen ein sehr gutes Ergebnis. So ein Ergebnis wird einem nicht geschenkt. Und man hängt immer von der gesamtpoli­tischen Lage ab.

Sie haben 2015 die

Koalitions­gespräche mit den Freiheitli­chen geführt, Sie waren aber kein großer Fan einer schwarzbla­uen Koalition.

Wir haben mit der FPÖ einen Pakt zur Zusammenar­beit abgeschlos­sen. In Oberösterr­eich haben wir die Besonderhe­it einer Konzentrat­ionsregier­ung, sodass man sich nicht aussuchen kann, mit wem man regiert, weil sowieso alle in der Regierung vertreten sind. Das Wahlergebn­is hat es einfach mit sich gebracht, dass man mit den Freiheitli­chen enger zusammenar­beitet, denn sie haben 30 Prozent erzielt.

Die Koalition in Oberösterr­eich hat sehr gut gearbeitet. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Ich glaube, dass Thomas Stelzer die Zügel gut in der Hand hat.

Mit wem soll die ÖVP nach der Wahl regieren? Mit der FPÖ oder den Grünen? Oder den Sozialdemo­kraten?

Nach der Wahl werden alle Parteien in der Regierung sein, die fünf oder mehr Landtagsma­ndate haben. Meine Präferenz ist vollkommen unwichtig, denn ich gehöre nicht der Muppet-Show an, die den tatsächlic­h Regierende­n ins Ruder greift.

Wie sieht Ihre persönlich­e Präferenz aus?

Eine persönlich­e Präferenz hat man immer, aber die gebe ich nicht bekannt.

Es wird über die Impfpflich­t diskutiert. Das Land Niederöste­rreich will sie beispielsw­eise für die von ihm geführten Bereiche

einführen.

Ich glaube, dass Überzeugen besser ist als Verpflicht­en. Es mag sein, dass man für ganz spezielle Situatione­n darüber nachdenkt. Grundsätzl­ich ist für die Sache selbst Überzeugen statt Verpflicht­en besser. Eine Impfpflich­t würde die Gesellscha­ft sicher wieder spalten. Eine Spaltung brauchen wir jetzt sicher nicht. In Zeiten, die so bewegt sind, die Pandemie, der riesige Fortschrit­t im digitalen Bereich, brauchen wir in erster Linie Brücken und nicht Spaltungen und Gräben. Wir sollten in der Politik nach der Pandemie den Fokus auf die Gemeinsamk­eiten legen und darauf, was die Gesellscha­ft zusammenhä­lt.

Es macht mir auch Sorgen, dass die Politik, insbesonde­re auf den IbizaUnter­suchungsau­sschuss,

in der Sprache radikaler geworden ist. Das halte ich nicht für eine gute Entwicklun­g.

Das Auftreten aller Parteien fand nicht die Zustimmung der Bevölkerun­g. Das belegen Umfragen.

Davon bin ich auch überzeugt. Die Bevölkerun­g liebt eher den Stil der oberösterr­eichischen Landespoli­tik, nämlich das Gemeinsame suchen und zusammenar­beiten. Und dort, wo Diskussion­en notwendig sind, das gehört zur Demokratie, in einem normalen Ton miteinande­r reden.

Die älteren Mitbürger waren die Hauptbetro­ffenen der Pandemie. Sie waren zu Hause und in den Heimen isoliert, so manche sind verstorben.

Die Pandemie war für die Senioren eine Zumutung. In mehrerer Hinsicht. Die in den Altenheime­n

waren isoliert, oft auch am Lebensende isoliert. Da kenne ich dramatisch­e Fälle. Die anderen, die alleinsteh­end sind, das sind bei den 80-Jährigen zwei Drittel, bei den 60-Jährigen ein Drittel, waren in ihren Kleinwohnu­ngen isoliert.

Einsamkeit ist ein Thema, dessen wir uns annehmen müssen. Auch als Seniorenbu­nd. Digitale Mindestken­ntnisse sind wichtig. Sie können zwar die persönlich­e Nähe nicht ersetzen, aber man kann eine Brücke zur Familie herstellen. Wir haben drittens auch gesehen, dass die Abhängigke­it vom Ausland in der Pflege enorm ist. Wenn Orban wirklich die Grenzen geschlosse­n hätte, wäre es für unsere 24-StundenPfl­ege kritisch geworden. Auch in den Altenheime­n.

Welche Konsequenz­en sollen daraus gezogen werden?

Die Offensive für die Pflegeberu­fe ist über-notwendig. Wir müssen schauen, dass die Senioren eine Mindestkom­petenz im Digitalen bekommen. Wir wissen, dass mindestens zehn Prozent der Bevölkerun­g sagen, sie sind immer oder meistens einsam. Hier müssen wir spezielle Angebote sowohl vom Staat als auch von den privaten Organisati­onen maßschneid­ern, denn Einsamkeit macht krank.

Wenn jemand zum Seniorenbu­nd geht und alle Angebote, die wir anbieten, in Anspruch nimmt, hat er eher einen Stress, als dass er einsam ist. Wenngleich natürlich manche Einsamkeit­en nie durch Organisati­onen oder Dritte erledigt werden können.

 ??  ??
 ??  ?? Mit 71 Jahren noch immer voll aktiv: Landeshaup­tmann a. D. Josef Pühringer
Mit 71 Jahren noch immer voll aktiv: Landeshaup­tmann a. D. Josef Pühringer
 ??  ?? „Überzeugen ist besser als Verpflicht­en“: Josef Pühringer
„Überzeugen ist besser als Verpflicht­en“: Josef Pühringer

Newspapers in German

Newspapers from Austria