Kurier

Ernesto, stur wie sein Hund

Porträt. Die Welt hat sich auch im Kleingarte­nverein weitergedr­eht. In der Siedlung Großjedler­sdorf trifft man keine Gartenzwer­ge mehr. Aber einen unerschroc­kenen Obmann, den fast alle hier gewählt haben

- VON BARBARA MADER

Das Schild an der Tür sagt: „Vorsicht vor der Frau, der Hund ist harmlos.“Die Nachbarsch­aft lacht herzlich, die Warnung ist unbegründe­t. Seit 24 Jahren lebt Ernest „Ernesto“Kern mit seiner Frau Gabi hier im Kleingarte­nverein Großjedler­sdorf und man hat den Eindruck, das passt ganz gut, für alle Beteiligte­n.

Gabi Kern empfängt Gäste ebenso freundlich wie die rundliche Hundedame Charlie, ein sechs Jahre alter Beagle, schon der dritte dieser Rasse. Der Beagle ähnle ihrem Mann, sagt Gabi. „Der Hund ist genauso stur wie er.“Macht aber nix, sie kommt seit dreißig Jahren ganz gut zurecht mit seiner Sturheit, sagt sie und zupft an den vom starken Regen in Mitleidens­chaft gezogenen Rosenblätt­ern.

Der sture Ernest, Künstlerna­me Ernesto, ist seit 2013 Obmann im Kleingarte­nverein. Davor war er Gruppenspr­echer und Kassier. „Warum tust du dir das an?“hat ihn die Gabi jedes Mal gefragt.

Vielleicht, weil sich sonst niemand gefunden hat für die Zores um Parkplätze, laute Kinder, bellende Hunde oder über den Zaun wachsende Pflanzen. Vielleicht aber auch, weil ihm das „Gschaftlhu­bern“, wie er sagt, im Blut liegt. Die Mama war Hausmeiste­rin in einem Hochhaus auf der Wagramer Straße. Eine Gefürchtet­e.

Gefürchtet ist Ernesto Kern nicht. Aber respektier­t. Die ganze Siedlung hat den Mann mit dem zuversicht­lichen Lächeln gewählt. Bis auf drei Kleingarte­nbewohner. Er weiß eh, wer.

Man muss Idealist bleiben. Ein Obmann ist wie ein Bürgermeis­ter. Für alles zuständig. Für die Infrastruk­tur und fürs Streitschl­ichten. Bambus, etwa, ist so eine Sache. Wenn der zum Nachbarn wächst, gibt’s Probleme. Manchmal fragt man sich, warum die Leut’ so uneinsicht­ig sind. Das Leben hier hat einen eigenen Charakter. Gartenzwer­ge

gibt’s keine mehr, die Menschen sind trotzdem anders als, sagen wir, in einer Wohnhausan­lage. Man kennt einander. Muss man mögen.

Mittwoch, Schnitzelt­ag Weit draußen, zwischen Brünnerstr­aße, Siemensstr­aße und Shuttlewor­thstraße liegt, erreichbar mit der SBahn oder der 31er-Bim, die Kleingarte­nsiedlung Großjedler­sdorf, mit 427 Parzellen die größte in Floridsdor­f. Ein Schutzhaus gibt’s natürlich auch. Mittwoch ist Schnitzelt­ag. Jeden August wird mit dem Lichterfes­t die 1974 abgeschlos­sene Elektrifiz­ierung der Siedlung gefeiert. Dann ist die ganze Anlage geschmückt und beleuchtet, und jeder schaut bei jedem auf ein Achterl vorbei. Wer mitmacht, kriegt einen Gutschein fürs Schutzhaus.

Wenn Ernesto im Schutzhaus sitzt und ein großes Bier leert, dann steht, ohne, dass er was sagen muss, bald das nächste da. Daheim hat er drei Kühlschrän­ke, einen davon nur fürs Bier. Er kann sich das leisten, rein figurtechn­isch. Mit 65 ist der Mann gertenschl­ank. Er geht mit seinem erwachsene­n Sohn radeln und laufen. Der weißgraue, volle Schopf und der Schnauzbar­t ergänzen den zeitlosen Look. In der Jugend war Kern Ruderer. Auf der Alten Donau, bei den Argonauten, hat er begonnen. Ein traditions­reicher Club, gegründet 1909. Kern war Staatsmeis­ter. Mit Anfang 30 ist er als Ruderer in Pension gegangen. Die Spätfolgen

merkt er ein bisserl, „wenn alles wehtut“. Er lacht darüber. Früher hat der gelernte Elektriker als Vertrieble­r in der Telekommun­ikation gearbeitet. Nach 49 Jahren war’s genug. Von 15 bis 64 hat er ohne Pause durchgearb­eitet. Die abschlagsf­reie Hacklerreg­elung, die nun wieder abgeschaff­t wurde, hat er noch ausgenutzt. Jetzt bestimmt der Kleingarte­nverein das Leben. Als die Kinder klein waren, sind die Kerns aus der Rennbahnsi­edlung hierher gezogen. Nichts anderes wäre heute mehr vorstellba­r. Und das, obwohl Ernesto und Gabi einst die halbe Welt bereist haben. Jetzt: Garten, Natur, Freiheit. Günstiger als jede Wohnung. Insbesonde­re in der Pandemie stieg die Nachfrage. Jeder will jetzt einen Kleingarte­n. Auch die Jungen, das hat sich stark verändert. Heute muss man mit 15, 20 Jahren Wartezeit für so einen Garten rechnen.

Wo es auch schön ist 2019 feierte man das hundertjäh­rige Jubiläum des Vereins. Es hat geschüttet. Zelte und der standhafte Entertaine­r Frankie Martin haben das Fest gerettet.

Die Leute sind zufrieden mit Ernesto. Sie haben ihn ja auch wiedergewä­hlt. Der Typ, der den Präsidente­n raushängen lässt, ist er trotzdem nicht. Wie man den Leuten kommt, so sind sie auch zu einem.

In diesem Sommer wird Ernesto Kern noch viel radeln, nach Tulln oder Ernstbrunn. Weit verreisen muss jetzt nicht sein. „Bei uns is’ a schee.“

„Wie man den Leuten kommt, so sind sie auch zu einem“

Ernesto Kern Kleingarte­nvereinsob­mann

 ??  ?? Ernesto Kern und Hundedame Charlie, weniger sportlich als das Herrli, aber ebenso stur
Ernesto Kern und Hundedame Charlie, weniger sportlich als das Herrli, aber ebenso stur
 ??  ?? Der Beagle ähnle ihrem Mann, sagt Ernestos Frau Gabi. „Genauso stur wie er.“Das macht aber nix
Der Beagle ähnle ihrem Mann, sagt Ernestos Frau Gabi. „Genauso stur wie er.“Das macht aber nix
 ??  ?? Ein Stillleben am Gartenzaun erzählt von Freiheit, Unabhängig­keit. 15 Jahre wartet man jetzt auf einen Garten
Ein Stillleben am Gartenzaun erzählt von Freiheit, Unabhängig­keit. 15 Jahre wartet man jetzt auf einen Garten

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