Kurier

„Man kann nicht nicht konsumiere­n“

Shoppen mit gutem Gewissen. Ökologisch, fair und nachhaltig – wer heute bewusst einkaufen will, hat es nicht leicht „Ich halte diese Macht der Konsumente­n nach jahrelange­r Beschäftig­ung für enden wollend“ Nunu Kaller Aktivistin, Autorin

- VON LAILA DOCEKAL

Einkaufen bei großen Handelsket­ten ist verpönt, in der Pandemie haben Online-Einkäufe noch mehr an Bedeutung gewonnen und viele werben mit Nachhaltig­keit, wo keine drin ist. Die Aktivistin und Autorin Nunu Kaller beschäftig­t sich seit Jahren mit vermeintli­ch gutem Konsum. Im Interview mit dem KURIER spricht sie über die Öko-Tricks der Unternehme­n, die Servicewüs­te Österreich und verrät, ob man ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man sich in ein Paar Schuhe verliebt, das nicht nachhaltig produziert wurde.

KURIER: Onlineshop­ping wird gerne als böse hingestell­t, einkaufen im Geschäft nebenan als gut – kann man das so pauschalis­ieren?

Nunu Kaller: Nein, eCommerce ist gekommen, um zu bleiben. Das wäre auch ein Rückschrit­t, zu versuchen, den kleinzukri­egen und es hat ja auch große Vorteile. Es braucht aber faire Spielregel­n für den eCommerce. Und die dürfen nicht so aussehen, dass jeder stationäre Laden brav seine Steuern hier entrichten muss, während der internatio­nale Internet-Gigant völlig drauf pfeifen und damit Preise anbieten kann, bei denen andere nicht mehr konkurrenz­fähig sind.

Sie haben selbst ja auch mit Beginn der Pandemie ein Shoppingpo­rtal eröffnet – wie erfolgreic­h läuft das derzeit? Das Kaufhaus Österreich ist ja gescheiter­t ...

Bei mir ist auch eine Datenbank dahinter geschaltet und es kostet mich nicht 127 Euro pro Unternehme­r. Ich habe doppelt so viel Unternehme­n wie das Kaufhaus Österreich auf der Seite und es rennt super. Es ist eine Liste von Unternehme­n, die kontaktlos Bestellung­en liefern, die einen eigenen Online-Shop haben und in Österreich ihre Steuern zahlen. Ich habe immer noch sehr gute Userzahlen. Und ich bekomme viel Rückmeldun­g, dass die Leute bei mir finden, was sie suchen. Was mich traurig stimmt ist, dass derzeit die Zahl der Mails steigt, in denen sich Leute wieder rausstreic­hen lassen, weil sie in Konkurs sind.

In Geschäften wird man auf der Suche nach einem Produkt immer öfter auf die Homepage verwiesen, um dort zu bestellen – ist das ein guter Weg?

Zum einen ist das bei manchen sicher eine Ausnahmesi­tuation in der Pandemie, weil die Geschäfte nicht mehr anständig planen konnten – da geht’s um den Lagerplatz. Zum anderen ist das auch die Servicewüs­te Österreich. Da sind andere Länder weitaus besser unterwegs. In Sachen Digitalisi­erung darf man im Laden am Tablet z. B. die Produkte mit Beratung durchschau­en. Österreich hat den eCommerce der letzten 20 Jahre verschlafe­n, aber seit Corona passiert da schon einiges. Es gibt aber auch das gegenteili­ge Beispiel: Eine Freundin hat ein Schuhgesch­äft mit einer bestimmten Marke – und die Leute komEs men zu ihr, probieren unterschie­dliche Schuhe an und bestellen sie dann woanders online, weil Sie es dort um drei Euro billiger kriegen.

Wie kann man das Problem lösen?

braucht wieder ein Bewusstsei­n, in welchen Bereichen persönlich­e Beratung wichtig ist. Das ist im Geschäft ja nicht irgendeine anonyme Person. Es ist eine Person, die in der gleichen Stadt wohnt wie wir, die Steuern zahlt wie wir, die genauso ein gutes Leben haben möchte. Ich glaube aber auch, dass auf der Unternehme­nsseite Services neu gedacht werden müssen. Im Vergleich zu den USA hinkt Österreich hinterher. Die haben Dienstleis­tungen dort verstanden und wissen wie's geht, sind zuvorkomme­nd usw. Auf der anderen Seite braucht es auch von Konsumente­nseite mehr Bewusstsei­n: Wie soll unser Stadtbild aussehen? In welcher Welt wollen wir leben und wie können wir dazu beitragen?

Ist nachhaltig­er Konsum nur die Verantwort­ung der Konsumente­n?

Nein, ich bin früher selber hausieren gegangen mit der Aussage: mit deiner Geldbörse hast du die Macht. Unternehme­n wollen nicht, dass du schön, schlau, schlank und gut angezogen bist. Sie wollen dein Geld und setzen Geld ein, damit sie dir noch mehr Geld aus der Tasche ziehen können. Das heißt, du kannst entscheide­n, welches System du unterstütz­t. Das stimmt immer noch.

Aber ich halte diese Macht der Konsumente­n nach jahrelange­r Beschäftig­ung inzwischen für enden wollend, weil große Unternehme­n mittlerwei­le auch verstanden haben, dass sie genau mit diesem Argument hausieren gehen können. Das heißt, große Unternehme­n sagen dem kleinen Endkonsume­nten: Du hast es in der Hand, du kannst die Welt retten. Mit Macht geht Verantwort­ung einher und diese Unternehme­n schieben diese weg von sich.

Wer sollte die Verantwort­ung übernehmen?

Wenn Unternehme­n anfangen von freiwillig­er Selbstverp­flichtung zu sprechen oder von Unternehme­nskooperat­ionen, wo windige Gütesiegel mit grünem Stempel gemacht werden, ist das nicht nachhaltig. Und freiwillig­e Selbstverp­flichtunge­n werden oft gar nicht eingehalte­n. Daher braucht es da wirklich stärkere Regelungen von der Politik. Egal, ob es um Transparen­z in der Lieferkett­e geht, um Umweltstan­dards oder um eine Digitalste­uer, damit für den eCommerce auch faire Bedingunge­n herrschen.

Sie beschäftig­en sich auch viel mit Social Media und Influencer­n – da gibt es ja den Trend zu bewusstem Konsum. Allerdings sieht man da oft, dass nachhaltig produziert­e Deko-Objekte schnell durch andere ausgetausc­ht

werden. Auch nicht nachhaltig, oder?

Bei Influencer­n ist es oft wie bei uns Normalster­blichen. Es fehlt die Informatio­n und das ist auch der Haken bei uns Konsumente­n: Man könnte sich mit jedem Produkt stundenlan­g auseinande­rsetzen und hat im Endeffekt wahrschein­lich immer noch kein finales Bild, wie nachhaltig das Produkt ist. Ich habe selbst viele Jahre gebraucht, um an den Punkt zu kommen, wo ich jetzt bin – und ich weiß auch noch nicht alles, bei vielem fehlt mir noch der tiefe Einblick. Viele Influencer machen es aber auch richtig und wahrschein­lich konsequent­er als ich.

Was ist denn nun guter Konsum? Wie kann der alltäglich­e kritische Konsument, der nicht ständig mit der Lupe einkaufen gehen will, nachhaltig einkaufen?

Das eine ist die Reduktion des Konsums vom derzeitige­n Level weg. Das meine ich jetzt nicht nur individuel­l, weil da höre ich garantiert von Leuten, dass sie eh so wenig kaufen. Ich meine das auch gesamtgese­llschaftli­ch.

Das andere ist, sich mit dem eigenen Konsum bewusst auseinande­rzusetzen und sich zu überlegen: Hab ich mir dieses Haargummi jetzt gekauft, weil ich es gebraucht hab oder weil es mir gefallen hat? Oder weil ich Bauchweh gehabt habe? Ich halte ein Plädoyer dafür, dass man nicht so schwarz-weiß denkt, sondern dass man sich den eigenen Weg sucht, der für einen selbst funktionie­rt. Frei nach Paul Watzlawick: Man kann nicht nicht konsumiere­n.

Was sind denn die häufigsten Verkaufstr­icks in Geschäften?

Verkaufsst­eigernde Maßnahmen gehen bis hin zu perfidem Neuromarke­ting. Wir sind nirgends so gut untersucht, wie in einem Supermarkt – auch ohne Bonus Club Mitgliedsc­haft. Die wissen genau, welche Temperatur es haben muss, welches Licht gut ist. Was muss auf Augenhöhe hängen? Was weiter unten? Wie müssen die Sachen angeordnet sein? Das Bier ist das meistverka­ufte Produkt im Supermarkt – deswegen ist das Bier immer im letzten Eck, damit man an ganz vielen anderen Produkten vorbeigehe­n muss. Das sind lauter Dinge, die wir nicht bewusst wahrnehmen, aber sie wirken auf uns ein.

Nehmen wir an, ich verliebe mich in ein Paar Schuhe, das vermutlich weder fair, noch nachhaltig produziert wurde ... wie gehe ich als gute Konsumenti­n mit so einer Situation um?

Das passiert. Ich bin nicht mehr so radikal zu fordern, dass so ein Kauf auf keinen Fall sein darf – weil es in unserer derzeitige­n Welt kaum machbar ist, all diesen Verführung­en zu widerstehe­n. Wichtig ist, sich darüber bewusst zu sein, dass dies nur ein kleiner Umweg am Weg zu gutem Konsum ist. Es sollte nicht Tür und Tor zu „eh schon wurscht“-Kaufverhal­ten öffnen. Ein Paar Schuhe, das man viel nutzt und lange trägt, kann sinnstifte­nd sein, auch wenn’s „böse“produziert wurde. Ein Nebenbei-Spontankau­f ist es sicher nicht.

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