Ballsaison: Warum sie heuer vielen fehlen wird
Alleine in Wien finden während des Faschings 400 Bälle statt – in normalen Jahren
In einer Welt ohne SARS-CoV-2 würden dieser Tage aufgeregte Debütanten ihre Choreografien einstudieren, Tanzböden poliert und prominente Logen-Gäste bekannt gegeben werden. Nach dem Dreikönigstag beginnt in Österreich für gewöhnlich die „fünfte Jahreszeit“: Die Ballsaison steuert, nach einer Unterbrechung im Advent, auf ihren Höhepunkt am Faschingsdienstag zu (falls es jemanden interessiert: der
fällt heuer auf den 16. Februar). Kaum ein Abend vergeht, an dem nicht irgendwo gewalzt und gefeiert wird, alleine in Wien finden während des Faschings mehr als 400 Bälle statt – darunter weltberühmte, viel kopierte Aushängeschilder wie der Opern- oder Philharmonikerball. Vergangenes Jahr gaben laut Wirtschaftskammer 520.000 Gäste rund um ihren Ballbesuch 151 Millionen Euro aus.
Wiener Seele
Heuer herrscht in den prunkvollen Ballsälen gähnende Leere – und es ist nicht nur der wirtschaftliche Verlust, der schmerzt. „Für uns Tanzschulen ist die Situation eine Katastrophe“, sagt Karin Lemberger, Leiterin der Tanzschule Dorner und Präsidentin des Verbands der Wiener Tanzlehrer. Die Monate Jänner und Februar sind für Tanzmeisterinnen wie sie normalerweise eine „sehr hektische und erfüllende Zeit“, Eröffnungen und Mitternachtseinlagen wollen choreografiert, Last-MinutePrivatkurse gehalten werden.
An die 13 Wiener Bälle besucht Lemberger in der Regel pro Saison. „Die Wiener lieben es, in einem festlichen Rahmen zu tanzen, zu feiern und sich herauszuputzen. Das gehört einfach zur Wiener Seele dazu. Beim Tanzen kann man den stressigen Alltag gemeinsam hinter sich lassen. Das fehlt, gerade heuer, sehr.“
Bälle und festliche Tanzveranstaltungen sind – nicht zuletzt durch „Sissi“-Filme und Strauß-Melodien – fest in der österreichischen DNA verwurzelt, erklärt Monika Fink-Naumann, Musikwissenschafterin an der Universität Innsbruck – ihr Ursprung liegt aber woanders. „Die festliche inszenierte Ballkultur hat sich eindeutig am Hofe von Ludwig XIV. entwickelt und wurde von dort aus nach England und in den deutschsprachigen Raum übertragen“, sagt die Expertin. Am hierarchisch gegliederten Hof von Versailles wurde auch jede Form von Geselligkeit streng reglementiert. „So entstand auch das Zeremoniell des Hofballs, das unsere Ballkultur ja bis heute ausmacht: ein Zeremonienmeister, eine reglementierte Tanzfolge, Mitternachtseinlagen usw.“
Feste Rituale wie diese geben Halt und Sicherheit, große Feste markieren wichtige Punkte im Jahresablauf, auf die man sich freuen kann, weiß die Psychologin Christa Schirl. „Bälle helfen uns, Träume zu verwirklichen und aus der Realität herauszutreten – einmal Prinzessin oder König sein. Beim Tanzen erlebt man Momente der Leichtigkeit. Man könnte heuer stattdessen am Freitagabend ein Date mit dem Partner vereinbaren, sich schön anziehen und, wenn man genug Platz hat, eine Runde im Wohnzimmer tanzen. Feiern kann man auch in Zeiten wie diesen.“
Tanzen nach Krisen
Am Rande des Wiener Kongress (1814–1815) etablierte sich Wien zu den Walzerklängen von Johann Strauß endgültig als inoffizielle Ball-Hauptstadt. Seitdem haben sich viele verschiedene Arten von Bällen entwickelt, unzählige Berufsgruppen haben ihren eigenen. Ein relativ junges Phänomen sind die Schulbälle, die sich aus den Bällen der Universitäten entwickelt haben, sagt Fink-Naumann. „Sie markieren den Abschluss der Schulzeit. Für die jungen Leute ist es natürlich besonders traurig, dass die Maturabälle ausfallen müssen. So etwas lässt sich schwer nachholen.“
Eines hat die Geschichte gelehrt: Nach überstandenen Krisen, Kriegen oder Seuchen zeigte sich das Volk besonders tanzfreudig, sagt die Musikwissenschafterin. Das weiß auch Karin Lemberger, deren Großeltern die Tanzschule 1946, ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gegründet haben. „Die Leute haben damals so viel getanzt wie noch nie. Es war einfach ein ganz neues Lebensgefühl.“