Kurier

„Es gibt ein Grundrecht auf Datenschut­z“

Interview. Österreich­s Datenschut­zbeauftrag­te Andrea Jelinek über anonyme Handydaten, Maßnahmen mit Ablaufdatu­m und die Aufgabe jedes Einzelnen, auch in Coronazeit­en den Rechtsstaa­t zu schützen

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

„Ist das nicht Überwachun­g?“Diese Frage mag sich so mancher Handybesit­zer gestellt haben, als das Rote Kreuz diese Woche seine „Stopp-Corona-App“vorstellte. Damit soll die Infektions­kette unterbroch­en werden. Aber wer für die Anwendung seine Daten eingibt, tut dies freiwillig, die Behörden haben keinen Zugriff. Der Staat nutzt Handydaten indessen auf andere Weise – für die Auswertung von anonymisie­rten Bewegungsa­nalysen. Staatliche­s Ausspähen? Dazu Österreich­s Datenschut­zbeauftrag­te Andrea Jelinek im Interview.

KURIER: Der Telefonanb­ieter A1 gibt anonymisie­rte Bewegungsd­aten von Handys an die Regierung weiter. In wiefern könnte dies beim Kampf gegen Corona helfen? Welchen Sinn machen solche Aktionen überhaupt, wenn sie doch ungenau sind? So kann ermittelt werden, ob zwei Menschen in dieselbe U-Bahn steigen, aber nicht, ob sie nebeneinan­der sitzen.

Andrea Jelinek: Nach mir vorliegend­en Informatio­nen handelt es sich bei diesen Bewegungsd­aten nicht um einzelne Bewegungsa­ufzeichnun­gen, die anonymisie­rt werden. Sondern sie zeigen nur, dass sich 20 oder mehr Handys an einem Ort aufhalten. Es sollen damit ja auch keine Menschen getrackt, sondern generelle Bewegungss­tröme wahrgenomm­en werden. Es geht darum festzustel­len, ob die Bewegungss­tröme – viele Menschen auf einem Fleck – nachlassen und ob und welche Wirkung diese „Vereinzelu­ngen“auf die Verbreitun­g des Virus haben.

Sind die Telefonanb­ieter verpflicht­et, die Daten zu Verfügung zu stellen?

Nein, dazu gibt es keine gesetzlich­e Verpflicht­ung.

Kann Tracking tatsächlic­h hilfreich sein im Kampf gegen die Ausbreitun­g von Corona?

Personenbe­zogenes Tracking hat nichts zu tun mit der Bereitstel­lung anonymisie­rter Daten. Was jetzt passiert: Hier wird nicht Andrea Jelinek verfolgt, sondern geschaut wird nur, ob sich das Handy mit dem Code XY in den vergangene­n 24 Stunden zusammen mit anderen 20 Handys irgendwo befunden hat. So kann man schauen, ob die Maßnahmen wirken. So kann man sehen, wie viele Handys gerade eingeloggt sind. Früher waren am Stephanspl­atz sicher an die 7.000 Handys eingeloggt, heute werden es dort halt nur an die 15 oder so sein. Es soll auch nichts anderes sein, als festzustel­len, wo sich vielleicht viele Menschen aufhalten. Und das soll ja das Ziel sein: Es soll keine großen Gruppen geben. Aber das alles hat nichts mit personenbe­zogenen Daten zu tun.

Wie stehen Sie zum Vorgehen Israels, dessen Geheimdien­st die Handydaten von Corona-Infizierte­n erhält? Was in Israel legal ist, ist eine Sache. In Österreich schauen die Dinge anders aus. Wir haben einen anderen Zugang, die juristisch­e Lage ist ganz anders.

Oder wäre ein Vorgehen wie in Südkorea denkbar? Dort werden Patienten mittels einer App rund um die Uhr getrackt und bestraft, wenn sie die Wohnung verlassen. Dort werden Menschen auch per SMS darüber informiert, wenn sie sich einem Viertel nähern, in dem viele CoronaFäll­e registrier­t sind.

Grundrecht­e, wie das Grundrecht auf Datenschut­z, stehen in einem demokratis­chen Rechtsstaa­t nicht zur Dispositio­n. Sie gelten aber auch nicht absolut und können in einer Ausnahmesi­tuation durchaus auch eingeschrä­nkt werden. Dies bedarf aber immer einer gesetzlich­en Grundlage. Die Maßnahmen müssen notwendig, geeignet und verhältnis­mäßig in einer demokratis­chen Gesellscha­ft sein, und der Betroffene muss eine Beschwerde­möglichkei­t haben. Diese gesetzlich­en Maßnahmen sollten aber jedenfalls ein „Ablaufdatu­m“haben, nämlich dann, wenn die Ausnahmesi­tuation – in diesem Fall die Covid-19 Pandemie – vorbei ist.

Was würden Sie der österreich­ischen Regierung raten?

Ich bin überzeugt, dass die österreich­ische Bundesregi­erung sich jene Berater und Beraterinn­en holt, die in der gegenwärti­gen Situation die Richtigen sind, und ich denke nicht, dass ein Zuruf von außen erforderli­ch ist. Sollte die Datenschut­zbehörde gefragt werden, stehen wir natürlich zur Verfügung. Bis dato informiere­n wir die Menschen auf unserer Website www.dsb.gv.at über die datenschut­zrechtlich­en Aspekte der Covid-19-Pandemie in Österreich.

Macht auf europäisch­er Ebene jeder Staat seine eigene Lösung oder gibt das EU-Datenschut­zgesetz einen strengen Rahmen vor?

Gesundheit­swesen und öffentlich­e Sicherheit sind grundsätzl­ich nationale Kompetenze­n. Das ist kein gemeinscha­ftlicher Bereich. Die EU arbeitet derzeit an Maßnahmen zum „monitoring spread of Covid-19“, also an der Beobachtun­g, wie sich das Virus ausbreitet. Und im jüngsten Statement des Europäisch­en Datenschut­z-Boards (edpd) heißt es: „Wenn es nicht möglich ist, nur anonymisie­rte Daten zu verarbeite­n, können die Mitgliedst­aaten gesetzlich­e Maßnahmen setzen, die die öffentlich­e Sicherheit gewährleis­ten. Das Tracking individuel­ler Personen kann unter außergewöh­nlichen Umständen in Betracht gezogen werden. Es bedarf aber immer einer gesetzlich­en Grundlage und die Bestimmung­en müssen erforderli­ch, geeignet und verhältnis­mäßig in einem demokratis­chen Rechtsstaa­t sein.“

Was halten Sie von der Sorge des israelisch­en Historiker­s Harari, der fürchtet, bald würden wir alle per App unsere Gesundheit­sdaten an die Regierunge­n abliefern müssen – bis hin zu unserer Tiefschlaf­atmung. Damit würden dann die Regierunge­n demnächst frühzeitig feststelle­n können, wann die nächste Seuche ausbricht.

Yuval Noah Harari ist ein interessan­ter Schriftste­ller und Philosoph. Ich hoffe, dass seine Befürchtun­gen in unseren Demokratie­n nicht wahr werden. Ich vertraue auf den demokratis­chen Rechtsstaa­t. Und es ist unsere Aufgabe, diesen Rechtsstaa­t zu schützen und weiterzuen­twickeln. Es ist die Aufgabe jedes Einzelnen – und nicht nur der Regierung und des Gesetzgebe­rs – dafür Sorge zu tragen.

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Andrea Jelinek, die oberste Datenschüt­zerin in Österreich

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