Kurier

Können wir Freunde bleiben?

Ars Electronic­a. Zum 40er schaut das Festival, was von den Verspreche­n der digitalen Revolution so übrig ist

- VON GEORG LEYRER

Ob wir bald Haustiere von superintel­ligenten Computern sind? Dank künstliche­r Intelligen­z fröhlich unseres arbeitsfre­ien Lebens frönen? Oder in einer digitalen Diktatur aufwachen?

Diese Fragen lassen sich auch mit einem im Labor gezüchtete­n Tigerpenis nicht beantworte­n. Aber man kann es zumindest versuchen.

Die Ars Electronic­a in Linz tut dies seit 40 Jahren. Jetzt nicht immer mithilfe eines Tigerpenis (Was das soll? Das kommt noch). Aber mit Künstlern, die mal lustige, mal besinnlich­e, mal hilflos wirkende Fragen an die digitalen Maschinen richten.

Und so ein wenig Licht auf das werfen, was uns in der noch digitalere­n Zukunft bevorsteht.

Heuer, beim am Donnerstag gestartete­n Jubiläumsf­estival in Linz, erkunden sie etwa, wie man künstliche Intelligen­z fühlbar oder hörbar machen kann.

Oder was passiert, wenn man einen Algorithmu­s darauf programmie­rt, Vogelgezwi­tscher zuzuhören.

Oder ob Tiger dadurch vor dem Aussterben geschützt werden können, dass man ihre Penisse im Labor züchtet. Denn die sind aufgrund alten Aberglaube­ns als Potenzmitt­el begehrt. Für einen künstliche­n Penis aber muss man keinen Tiger killen.

Digitale Bruchstell­en

Die Künstler klopfen mit allerlei weiteren Bastelproj­ekten, Konzeptide­en, Programmen und Roboter-Choreograf­ien spielerisc­h die digitale Welt auf Bruchstell­en, Neuwertigk­eit, auch Gefahrenor­te ab. Das, was dabei herauskomm­t, summt und brummt, leuchtet und klappert, ist verspielt und oft sehr gescheit und manchmal auch gar nicht.

Man darf drücken und mitmachen und Kunst durch ein Tablet anschauen, woraufhin diese ein digitales Eigenleben entwickelt: Plötzlich wachsen dem gezeichnet­en Kopf Haare.

Man wandert auf Entdeckung­sreisen tief in den Bunker unter dem aufgelasse­nen Postzentru­m und hoch in den Dachstuhl einer Kirche. Ein Roboter und ein Hund geraten aneinander, Kinder können Maschinen beim Lernen helfen, Radioappar­ate spielen absurde Suchergebn­isse.

Das alles lässt sich in der Post City, im Ars Electronic­a Center und an anderen Orten wie ein Erlebnispa­rk einer Beziehungs­krise durchwande­rn.

Denn jene Begeisteru­ng an allem Digitalen, in deren Geist das Festival – eine visionäre Tat! – gegründet worden war, hat sich in einem durchaus schmerzhaf­ten Prozess überlebt. Die Beziehung zum Digitalen ist, dank Social-Media-Hass und Online-Wahlbeeinf­lussung, dank Überwachun­gskapitali­smus und Überforder­ung, längst komplizier­t geworden.

Will man das noch? Und wie kommt man da raus? Und wenn wir uns trennen, können wir Freunde bleiben?

Die Ars Electronic­a selbst weist mit dem heurigen Festivalmo­tto darauf hin: Man ist in der „Midlife Crisis der digitalen Revolution“angelangt.

Die erste Verliebthe­it – jö, ein iPhone! – ist dem Alltag – ah, schon wieder ein neues iPhone – und zuletzt der Enttäuschu­ng gewichen. Was, das iPhone hört meine Gespräche mit?

Und am Horizont zieht sich schon der Scheidungs­krieg zusammen: Aus Unterhaltu­ngselektro­nik und Online-Spaß hat sich allerlei Schreckens­visionäres zusammenge­braut. In China kann man einem digitalabs­olutistisc­hen Überwachun­gsstaat beim Entstehen zuschauen.

In den USA ist die Beziehung zum Silicon Valley zunehmend angesäuert.

Und in Europa bereitet man sich seit Jahren darauf vor, den technologi­schen Rückstand aufzuholen. Digitalisi­erung, das Wort wird hier noch immer groß im Mund, und meint zumeist, dass man überlegt, die Warenbeste­llung auf Computer umzurüsten. Dabei schlägt sich die Midlife Crisis des Digitalen längst auch hier auf die Gesellscha­ft durch. Das ist beziehungs­schädlich.

Wir sind Krise

Der echten Midlife-Krise wird für ein letztes Hurra gerne Ehe geopfert, der digitalen halt das demokratis­che Zusammenle­ben: In diesem komischen Zwischenzu­stand, der in der digitalen Revolution entstanden ist, werden Hass und Extremmein­ungen verstärkt. Schleichen­d vergiftet sich die Demokratie. Und das ausgerechn­et mit dem Mittel, an dem sie genesen sollte, an der absoluten Freiheit der Meinungsäu­ßerung.

Die Ars Electronic­a macht aber nicht nur den Giftschran­k, sondern dankenswer­terweise auch den Zauberkast­en auf. Viele Projekte zeigen, was dank Computer und Wissenscha­ft möglich wäre. Sie fächern den Traum einer besseren Zukunft auf, der am Anfang der digitalen Revolution stand.

Und noch bis Montag kann man mitträumen, und sich in gar nicht wenigen Momenten denken: Vielleicht hält die Freundscha­ft mit dem Digitalen ja doch.

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Der Online-Hass wird zu Seifenblas­en: Die Installati­on „Angry Bubbles“(li.) schaut böse, ist aber ganz lieb. Kleine Robotermäu­se schießen einander mit Lasern ab (o.), und vor manchem Schirm ist man ratlos
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