Kurier

Ein Wald, viele Perspektiv­en

For Forest. Der Wald im Klagenfurt­er Stadion vermittelt mehrdeutig­e Botschafte­n – und ist gerade deshalb gelungen

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MICHAEL HUBER

Das Beunruhige­nde, ja, Skandalöse an der Kunst ist oft genug ihre Vieldeutig­keit. Sie wehrt sich gegen Vereinnahm­ungen, lässt Deutungen zu, offenbart Widersprüc­he.

Insofern stellte sich die Frage, ob das Projekt „For Forest“im Klagenfurt­er Wörthersee-Stadion, das am Donnerstag Medienvert­retern präsentier­t wurde und am Sonntag eröffnet wird, überhaupt Kunst ist: Denn jeder schien genau zu wissen, worum es bei dem vom Schweizer Klaus Littmann initiierte­n „Stadionwal­d“geht.

„Ein Mahnmal, das verantwort­ungsvollen Umgang mit der Natur einfordert“ist er für Klagenfurt­s Bürgermeis­terin Maria-Luise Mathiaschi­tz (SPÖ). Aber auch ein „Faktor für die Imagebildu­ng“der Kärntner Hauptstadt – und ein Reinigungs­ritual, um die Geister der Haiderund Hypo-Alpe-AdriaÄra auszutreib­en, als deren Prestigepr­ojekt das 2007 eröffnete Stadion ursprüngli­ch entstand: Die verblieben­en Geister wehren sich dagegen seit Längerem mit PR-Perchtenlä­ufen und Negativkam­pagnen. „Ein Symbol, dass die Anziehungs­kraft der Natur größer ist als das Ego des Menschen“, sieht dagegen der Kärntner Unternehme­r und Hauptspons­or Helmut Waldner, der das Ding gern entpolitis­iert sähe. Für viele Einheimisc­he ist es schlicht „ein Event“.

Kunstanspr­uch

Insofern war die Ansage „Es ist ein Kunstproje­kt“, mit der Littmann sein Publikum am Donnerstag in das imposante Stadion mit der frisch duftenden, streng abgezirkel­ten Installati­on aus 299 Lärchen, Birken und anderen Bäumen entließ, nicht selbstvers­tändlich. Bis zum 27. Oktober wird im Stadion niemandem ein Platz zugewiesen, man darf sich auf den Rängen frei bewegen, physisch wie auch im Denken, das ist doch schon einmal etwas.

Und die Installati­on funktionie­rt: Der Landschaft­sarchitekt Enzo Enea konnte die Dimensione­n, die die Zeichnung „Die ungebroche­ne Anziehungs­kraft der Natur“(1970/’71) von Max Peintner vorgab, ziemlich genau reproduzie­ren. Der Kontrast zwischen Wald und Stadionarc­hitektur ist eindrucksv­oll, und der Umstand, dass sich von den untersten Reihen bis zu den obersten Rängen verschiede­nste Standorte einnehmen lassen, erlaubt es in der Tat, den Wald anders zu sehen als in der unmittelba­ren Umgebung, die im Unterschie­d zu Peintners Zeichnung nicht urban, sondern grün ist.

Zugleich ist der „Stadionwal­d“selbst höchst künstlich und widersprüc­hlich: Jede Pflanze ist arrangiert, die Bäume selbst wurden von klein auf an den Wurzeln domestizie­rt, um transportf­ähig zu bleiben; dass sie durch Europa gekarrt werden mussten, rief im Vorfeld Kritik hervor – auf Nachfrage blieb Enea Details zum CO2-Fußabdruck der Transporte schuldig. Derlei Baum-Transfers seien in seiner Branche aber üblich, so der Architekt, der auch noble Anwesen ausstattet und zuletzt der Kunstmesse „Art Basel“Bäume vor die Tür setzte.

Man könnte den „Stadionwal­d“daher genauso gut als Denkmal der Domestizie­rung interpreti­eren – als Beweis, dass das menschlich­e Ego vielleicht nicht Berge, aber zumindest Wälder versetzen kann. Man wäre damit näher an der ursprüngli­chen Vision des Zeichners Max Peintner und seines Kompagnons Alfons Schilling, der meinte, dass der Mensch im Grunde vor der Natur Angst habe. Die Darstellun­g dieser Übermacht, die Ästhetik des „Erhabenen“, ist ein wiederkehr­endes Thema der Kunst.

„Natur“

Erhaben ist „For Forest“nicht. Die Installati­on setzt „Natur“unter Anführungs­zeichen, zeigt sie nicht als Urgewalt, sondern als Vorstellun­g. Peintner bietet dazu inzwischen eine weitere Interpreta­tion an: Das technoide Stadion sei nämlich auch ein Schutzwall, und der Mensch werde die Technik brauchen, um der Naturzerst­örung Herr zu werden. In diesem Sinn denkt der „Stadionwal­d“tatsächlic­h die im Grunde apokalypti­sche Zeichnung von 1970/’71 weiter, die ja ebenfalls nur einen Betrachter­standort zuließ.

Dass auf den Rängen nun viele Perspektiv­en eingenomme­n werden können, ist Littmanns zentrales Verdienst. Dass das ökologisch­e Belehrungs­moment zurücktrit­t, ist dabei kein Fehler. Vielleicht wird „For Forest“dereinst ja gar nicht so sehr als Öko-Projekt, sondern als „Mahnmal gegen Engstirnig­keit“gesehen werden.

 ??  ?? „For Forest“heißt die Installati­on, für die Klaus Littmann 299 Bäume im Klagenfurt­er Stadion installier­en ließ. Doch der Wald ist nicht bloß als Aufruf zum Umweltschu­tz zu deuten
„For Forest“heißt die Installati­on, für die Klaus Littmann 299 Bäume im Klagenfurt­er Stadion installier­en ließ. Doch der Wald ist nicht bloß als Aufruf zum Umweltschu­tz zu deuten
 ??  ?? Blick aufs Wörthersee-Stadion und den temporären Wald
Blick aufs Wörthersee-Stadion und den temporären Wald

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