Wiener Blut(plasma) für die Welt
Pharmaproduktion. Takeda-Werk in Wien will Kapazität bis 2025 verdoppeln. Mehr Spender gesucht
Wer denkt, Arzneimittel werden heute voll automatisiert abgepackt, der irrt. Im Pharmawerk von Takeda
(vormals Shire, vormals Baxter, vormals Immuno) in Wien-Donaustadt läuft ohne Handarbeit gar nichts. Bei der Werksbesichtigung des KURIER wird gerade ein Großauftrag des weitverbreiteten PlasmaproteinPräparates „Immunate 500“für Algerien abgepackt. Immunate wird etwa bei Hämophilie, bekannt als Bluterkrankheit, eingesetzt. 14 Mitarbeiter stehen im DreiSchicht-Dienst an der Linie und befüllen die Kartons nach und nach mit PlasmaFläschchen, Fertigspritze und Bedienungsanleitung.
In Fließbandarbeit werden pro Stunde 700 Stück Kartons händisch abgepackt. Bei einem Fehler wird das Band sofort gestoppt. Um nicht zu ermüden, wechseln die Mitarbeiter regelmäßig ihre Positionen. „Vollautomatisiert schaffen wir 3.000 Stück in der Stunde, aber die Maschinen sind halt nicht so flexibel“, erläutert Karl-Heinz Hofbauer, Leiter der Takeda-Produktion in Wien. Jeder Auftrag sei in Bezug auf Größe, Menge, Inhalt oder Beipackzettel anders. Insgesamt gebe es 600 verschiedene Produkt-Konfigurationen, die Automatisierung sei daher schwierig.
3.000 Mitarbeiter
Am zweitgrößten Pharmastandort Österreichs produzieren aktuell rund 3.000 Mitarbeiter 25 unterschiedliche Arzneimittel, darunter 17 plasmabasierte Produkte. Die aus menschlichem Blutplasma hergestellten, oft lebensrettenden Präparate werden vielfältig eingesetzt, etwa bei Blutgerinnungsstörungen, zur Blutstillung bei Operationen oder vermehrt auch bei komplexen, seltenen
Erkrankungen wie Morbus Crohn (chronisch-entzündliche
Darmerkrankung). „Durch plasmabasierte Therapien kann für Menschen mit seltenen und komplexen Erkrankungen viel erreicht werden“, erklärt Andreas Liebminger, Leiter der Plasma-Forschung bei Takeda in Wien. Humanes Plasma enthalte mehr als 2.500 unterschiedliche Proteine. Erst ein Bruchteil davonseifürtherapeutischeAnwendungen erschlossen.
5 Millionen Liter
Weil der Bedarf an Plasmaprodukten laufend steigt und sich ihre Einsatzgebiete erweitern, fährt Takeda am Standort Wien die Kapazitäten hoch. „Wir wollen bis 2025 das jährliche Verarbeitungsvolumen auf fünf Millionen Liter Plasma nahezu verdoppeln“, kündigt Hofbauer an. Rund 80 Millionen Euro investiert Takeda noch heuer dafür – und in die Modernisierung der Produktion.
Voraussetzung für mehr Plasmaprodukte sind freilich auch mehr Plasmaspender. „Wir sind stark von der Spendenbereitschaft abhängig“, bestätigt Hofbauer. Noch heuer sollen daher zwei weitere Plasmaspendezentren der Tochterfirma BioLife in Wien und in Klagenfurt eröffnen. Auch Standorte in den Nachbarländern sind getrennt plant. „Wir wollen das Plasma in der Nähe des Verarbeitungsstandortesgenerieren“, betont der Produktionschef. Derzeit reiche das österreichische Plasma nicht ganz aus, weshalb Mengen aus den USA zugekauft werden müssen. Dort sind die Spenderzentren aber oft in einkommensschwachen Regionen, weshalb Kritiker von einer Ausbeutung der Spender sprechen.
Der Weg vom Plasmaspender zum Patienten dauert zwischen sieben und zwölf Monate und läuft über mehrere Takeda-Standorte. Das menschliche Plasma wird analysiert, gereinigt, in seine Bestandteile aufgeund zu diversen Präparaten weiterverarbeitet. Bevor es abgefüllt wird, durchläuft es mehrere Sicherheitskontrollen. In der „Visuellen Kontrolle“etwa prüfen speziell geschulte Mitarbeiter die Flüssigkeit auf kleinste Verunreinigungen. Auch hier vertraut man mehr auf das menschliche Auge als auf Maschinen. Die Mitarbeiter müssen überdurchschnittlich gut sehen können.
Export in 100 Länder
Von Wien aus werden die Produkte in 100 Länder exportiert. Österreich zählt zu den wichtigsten Plasma-Verarbeiterländern weltweit.
Manchmal muss es auch schnell gehen, dann wird die überlebenswichtige Arznei in nur wenigen Stunden in irgendein Spital geliefert. 40 solcher „Überlebens-Lieferungen“habe es im Vorjahr gegeben, erzählt Hof bauer.
Insgesamt beschäftigt Takeda an den drei Standorten Wien, Orth an der Donau und Linz rund 4.000 Mitarbeiter. In Orth, wo die Vorgängerfirma Shire 2017 mehrere Hundert Mitarbeiter abbaute, wird wieder Personal eingestellt. Noch heuer wird dort die kommerzielle Produktion von Biologika-Therapien neu gestartet. Im Unternehmen gebe es derzeit 100 bis 150 offene Stellen, so Hof bauer.