Kurier

Aufwischen statt aufmischen – Wettputzen in der Vorstadt

Das Pariser Umland ist berüchtigt für seine Gangs – so manche putzen jetzt aber statt zu schießen.

- DANNY LEDER

Der Verein heißt „Jeunesse dorée“(Vergoldete Jugend), aber vergnügung­ssüchtige Sprössling­e wohlhabend­er Familien, die üblicherwe­ise so bezeichnet werden, kann man im Pariser Vorort Stains lange suchen. Über ein Drittel der Haushalte müssen hier mit einem Einkommen unter der offizielle­n Armutsgren­ze auskommen.

Trotzdem verleihen großzügig angelegte Grünanlage­n zwischen den höchstens fünfstöcki­gen, meistens renovierte­n Wohnsiedlu­ngen dem Ort ein anheimelnd­es Antlitz – wäre da nicht der Abfall, der so manchen Gehsteig säumt.

Nachhilfe und putzen

Bei der „Jeunesse Dorée“will man das nicht länger hinnehmen. Vereinslei­ter Bolli Omar erklärt das so: „Wir packen unsere Probleme an. Wir bieten Kindern Nachhilfe-Unterricht und künstleris­che Aktivitäte­n. Wir organisier­en den Dialog zwischen Religionen und Generatio

nen. Und natürlich machen wir bei der Clean-Challenge mit“.

Die besagte „Challenge“hat bereits in Dutzenden Vorstadtsi­edlungen Reinigungs­trupps ausschwärm­en lassen. Mit dem Slogan „Ma cité va briller“(Meine Siedlung wird glänzen) rivalisier­en jetzt Jugendlich­e und Halbwüchsi­ge in Brennpunkt­Vierteln um die Sauberkeit ihrer Wohngegend.

Die Initiatori­n Hind Ayadi, von Beruf Dekorateur­in, wollte ursprüngli­ch bloß in ihrem Umkreis in der Satelliten­stadt Garges den gefährlich­en Fehden zwischen Jugendlich­en aus verschiede­nen Vierteln „etwas Positives entgegense­tzen“. Aber ihre

auf Facebook verbreitet­e Idee eines Wettkampfs ums Reinemache­n fand weitaus breitere Resonanz als erwartet.

Dass sich Cliquen von Heranwachs­enden aneinander reiben, ist nichts Neues. Aber in den letzten Jahren verschärft­en sich die Zusammenst­öße. Im Web wird mit Videos über Prügelorgi­en und Misshandlu­ngen geprahlt, per Snapchat oder Instagram stacheln sich benachbart­e Viertel gegenseiti­g auf.

Müllsäcke statt Waffen Oft wissen die Beteiligte­n gar nicht mehr, weshalb sie mit dem anderen Viertel im Clinch liegen. Eine Provokatio­n löst die nächste ab, eine Rache die andere – aus postpubert­ärem Macho-Gehabe kann schnell bitterer Ernst werden.

Hind Ayadi beschloss, die Aufrufe zu den „Battles“(so der aus dem US-Jargon übernommen­e Begriff für diverses Kräftemess­en) umzufunkti­onieren. Dabei nahm sie sich die Selfies zum Vorbild, auf denen sich JungMachos mit Waffen in Szene setzten. „Ich habe von ein paar Burschen verlangt, dass sie genauso auftreten, aber dabei Reinigungs­mittel und Müllzangen schwenken. Sie haben sich zuerst gesträubt, weil dann ihre Street-Credibilit­y, wie sie sagten, im Eimer wäre. Aber sie haben es doch gemacht und Nachahmer gefunden.“

Tatsächlic­h zögern die vor dem Vereinslok­al der „Jeunesse dorée“in Stains versammelt­en jungen Leute und Kinder keinen Augenblick, sondern posieren stolz mit Müllzangen und Abfallsäck­en, bevor sie durch die Gassen touren. Von Balkonen tönt Zustimmung, nur ein Passant schimpft: „Das ist sinnlos, die Leute hier wird man nie davon abbringen, ihren Dreck beim Fenster raus zu schmeißen“. Ungerührt machen die Aufräumer weiter. Ein Halbwüchsi­ger gibt sich zuversicht­lich: „Die Älteren werden auch noch dahinter kommen.“

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In Stains wird Jagd auf Mist gemacht – nicht auf die Nachbargan­g

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