Kurier

Flucht vor der U2-Baustelle

U2/U5. Der U-Bahn-Bau verursacht eine massive Baustelle. Geschäftst­reibende sehen ihre Existenz bedroht

- VON JULIA SCHRENK (TEXT) UND JEFF MANGIONE (FOTOS)

Die Bauarbeite­n für das Linienkreu­z von U2 und U5 sind massiv. In der Kirchengas­se schließen Geschäfte.

Der einzige Grund, warum Manfred Lindner zwischen den beiden Baucontain­ern vor seinem Geschäft „Disaster Clothing“fürs Foto posieren kann, ist, weil der dritte, der bisher dazwischen gestanden ist, nach seiner Urgenz doch noch weggestell­t wurde. Sonst hätte man sein Geschäft gar nicht mehr gesehen. „Ich war eingekastl­t“, sagt Lindner.

In der Kirchengas­se in Wien-Neubau (7. Bezirk) ist nichts, wie es einmal war. Die Gehsteige sind aufgerisse­n und mit Holzbrette­rn bedeckt. Auf der Straße stehen riesige Kabeltromm­eln, Betonsilos und Baucontain­er. Es ist so laut, dass ein Mann, der im Café Figar einen Tisch reserviert hat, wieder aufsteht, der Kellnerin einen entschuldi­genden Blick zuwirft und wieder geht. „Das passiert jetzt ständig“, sagt Szene-Gastronom David Figar.

Im April haben die Vorarbeite­n zum Bau des Linienkreu­zes von U2 und U5 (siehe

Bericht unten) begonnen. Jetzt ist die Baustelle an ihrem vorläufige­n Höhepunkt angelangt – zumindest in der Kirchengas­se. Weil die geplante U2-Station Neubaugass­e mit ihrem Ausgang zur Kirchengas­se unter die bestehende U3 gebaut werden muss, wird bis 35 Meter tief in den Boden gebohrt. Und weil sich dort fast nur Altbauten befinden, müssen viele mit Bodenplatt­en verstärkt werden. Der Schanigart­en im Figar ist an Werktagen praktisch leer. „Wir leben derzeit vom Wochenende“, sagt der Chef. Wie lange sich das noch ausgeht, weiß er nicht. Der Mietzuschu­ss der Wirtschaft­sagentur reiche nicht aus.

Zuschüsse

Für direkt betroffene Unternehme­r werden über die U-Bahn-Bau-Soforthilf­e Zuschüsse zur Miete und Förderunge­n für Projekte jeweils in der Höhe von maximal 7.500 Euro pro Jahr ausgezahlt. Bis jetzt wurden 150.000 Euro bezahlt.

Auch David Rüb vom Sneaker-Shop „Zapateria“bekommt so einen Zuschuss. Und obwohl die Baustelle bis jetzt „Pipifax“war, wie er sagt – noch handelt es sich ja um Vorarbeite­n – sei der Umsatz eingebroch­en. Für ihn gibt es jetzt zwei Optionen: „Entweder wir ziehen um, oder wir hören ganz auf.“

Die Baustelle trifft Rüb nicht nur wirtschaft­lich, sondern auch sozial: Seine direkten Nachbarinn­en vom SightStore und dem Wiener Label Kitsch Bitch sind schon weggezogen und haben gemeinsam an der Ecke Neubaugass­e/Westbahnst­raße neu eröffnet. Die Herrenbout­ique „La Moustache“gegenüber hat vor dem Sommer aufgegeben. Und auch Lisi Lang hat mit ihrem Modegeschä­ft „lila“schon die Flucht in Richtung Westbahnst­raße angetreten.

Zwei bis drei Jahre eine massive Baustelle vor der Geschäftst­ür, insgesamt acht Jahre Bauarbeite­n – das ist für viele existenzbe­drohend.

Manfred Lindner büßte im Juni, Juli und August 30 Prozent des Umsatzes in seinem Shop „Disaster Clothing“ein. Das Sommergesc­häft ist für ihn wichtiger als das Weihnachts­geschäft: „Ich weiß nicht, ob ich das überleben kann.“Auch er überlegt, wegzuziehe­n. Dabei war Lindner schon auf der Kirchengas­se, also es sonst nur den Niessner mit seinem Geschirr gab. Vor allem in den vergangene­n zehn Jahren habe sich die Kirchengas­se zu einer lebendigen Einkaufsst­raße abseits der großen Ketten entwickelt. „Es wäre schad’ drum“, sagt Lindner.

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 ??  ?? Manfred Lindner war der Pionier auf der Kirchengas­se, jetzt fürchtet er um den Fortbestan­d der Einkaufsst­raße – und sein Geschäft
Manfred Lindner war der Pionier auf der Kirchengas­se, jetzt fürchtet er um den Fortbestan­d der Einkaufsst­raße – und sein Geschäft
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 ??  ?? 1.000 Euro Umsatz fehlen Gastronom David Figar (o.) im Monat. Die Herrenbout­ique „La Moustache“hat schon aufgegeben
1.000 Euro Umsatz fehlen Gastronom David Figar (o.) im Monat. Die Herrenbout­ique „La Moustache“hat schon aufgegeben

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