Kurier

Verkleiner­ter Magen, große Risiken

Operatione­n. Bei der Wiener Patientena­nwaltschaf­t häufen sich die Beschwerde­n über misslungen­e Eingriffe

- VON JOSEF GEBHARD

Schweres Übergewich­t ist die Zivilisati­onskrankhe­it des 21. Jahrhunder­ts schlechthi­n. Auch in Österreich, wo immer mehr Betroffene versuchen, die Störung mit einer chirurgisc­hen Magenverkl­einerung in den Griff zu bekommen.

Doch das gelingt nicht immer wunschgemä­ß, wie die wachsende Zahl der Beschwerde­n bei der Wiener Patientena­nwaltschaf­t zeigt: „2016 waren es acht, im Jahr darauf bereits zehn, heuer liegen wir schon jetzt bei acht“, sagt Patientena­nwältin Sigrid Pilz. Sie war in diesem Zeitraum auch mit drei Todesfälle­n nach Magenverkl­einerungen konfrontie­rt.

Darunter der Fall einer 41-Jährigen, die sich in einem privaten gemeinnütz­igen Spital einer Magenbypas­s-OP unterzogen hatte. In der Folge zog sie sich eine Bauchfelle­ntzündung zu. Bei einer erneuten Operation starb sie im OP-Saal an den Folgen einer Sepsis.

Immer wieder kommt es aber auch zu Langzeit-Folgen: So musste einer 44-Jährigen nach drei Jahren der Magenbypas­s wieder rückoperie­rt werden, weil sie mit einem massiven Eiweißmang­el zu kämpfen hatte.

Wundheilun­g

„Magenverkl­einerungen haben ein relativ hohes Komplikati­onsrisiko“, sagt Pilz. Die OP sei wegen der großen Leibesfüll­e der Patienten schwierige­r, viele würden an Begleiterk­rankungen leiden, oft komme es auch zu Wundheilun­gsstörunge­n. „Manchen Patienten ist wiederum nicht klar, dass sie nach dem Eingriff lebenslang – oft teure – Nahrungser­gänzungsmi­ttel nehmen müssen“, sagt Pilz.

Angesichts der Risiken beobachtet die Patientena­nwältin mit Argwohn, dass die Einsatzgeb­iete von Magenverkl­einerungen immer mehr ausgeweite­t werden. „Einige Chirurgen plädieren schon für einen Einsatz auch als Ultima Ratio bei extremem Übergewich­t im Jugendalte­r“, sagt Pilz. „Wir wissen nicht, wie die Langzeitfo­lgen bei so jungen Patienten aussehen.“

Pilz plädiert dafür, dass die psychologi­sche Betreuung bei solchen Eingriffen verbessert wird, denn oft stünden massive seelische Probleme hinter dem Übergewich­t, die sich auch mit der Operation nicht beseitigen ließen.

Weiters müsse man laut Patientena­nwältin das Übel an der Wurzel packen. Also gegen das Überangebo­t an süßen und fetten Nahrungsmi­tteln für junge Menschen vorgehen.

Eines der Hauptprobl­eme seien Operatione­n in Spitälern, die nur eine geringe Zahl solcher Eingriffe durchführe­n würden, schildert Gerhard Prager, Adipositas-Chirurg am Wiener AKH. „Die Qualität ist in solchen Häusern nicht gegeben.“Er ortet auch einen gewissen Operations­tourismus: Patienten würden Hunderte Kilometer Anreise in Kauf nehmen, um einen rascheren OP-Termin zu bekommen. Im Anschluss fehle es dann aber oft an der nötigen intensiven Nachbetreu­ung, die für den Rest des Lebens erforderli­ch sei. „Vielen Patienten ist das nicht bewusst“, sagt Prager. Der Mediziner rät daher dringend, solche Eingriffe nur in Zentren durchführe­n zu lassen, die an Qualitätss­icherungs programmen teilnehmen. Infos dazu findens ich auf der Homepage der Gesellscha­ft für Adipositas- und Metabolisc­he Chirurgie unter www.adipositas­chirurgie-ges.at.

Jugendlich­e

Unter bestimmten Voraussetz­ungen, begleitet von besonders strengen Auflagen, sei für den Experten auch die Operation von Jugendlich­en durchaus sinnvoll: „Ein 17-Jähriger mit 210 Kilogramm hat einfach keine andere Chance, sein Übergewich­t in den Griff zu bekommen“, schildert Prager ein Beispiel. Falsch sei es aber, bereits bei geringem Übergewich­t zu operieren.

Auch gegen Diabetes Typ II sei eine Magenverkl­einerung eine effektive Maßnahme, „allerdings erst ab einem Body Mass Index von 35“(hier beginnt Adipositas, Anm.), betont der Mediziner. Erst ab diesem Wert würden die Krankenkas­sen den Eingriff bezahlen.

Vor dem Eingriff müsse jeder Patient ein psychologi­sches Gutachten einholen. „Dabei kommt es schon immer wieder vor, dass darin empfohlen wird, dass der Patient besser eine Psychother­apie machen sollte.“Prager will aber nicht ausschließ­en, dass die Patienten dann auf andere Psychologe­n oder Psychiater ausweichen, um doch noch zu einer Operation zu kommen.

„Wir wissen nicht, wie die Langzeitfo­lgen bei jungen Patienten aussehen.“Sigrid Pilz Patientena­nwältin

„Ein 17-Jähriger mit 210 Kilo hat keine andere Chance, sein Übergewich­t in den Griff zu bekommen.“Gerhard Prager Chirurg, AKH Wien

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