Kurier

ÖVP-Triumph, aber Kurz vor Abwahl

SPÖ-MISSTRAUEN­SANTRAG FIX

- VON M. BACHNER, B. GAUL UND J. HAGER

Drei zentrale Fragen prägten einen spannenden EU-Wahlsonnta­g, nur eine Woche nach der Ibiza-Affäre, die zum Ende von Türkis-Blau geführt hat: Wie werden sich das bizarre Video und die Rücktritte an der FPÖ-Spitze auf das Wahlergebn­is auswirken? Was heißt das für den heutigen Misstrauen­santrag gegen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz? Und wie werden sich die Parteien jetzt für die Nationalra­tswahl im September positionie­ren?

Die Antwort lautet: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und seine Volksparte­i gehen als klare Sieger aus der Wahl hervor. Dennoch bringt die SPÖ heute gegen die gesamte Regierung einen Misstrauen­santrag ein. Auch die FPÖ dürfte – zumindest Kurz – das Vertrauen versagen. OGMMeinung­sforscher Wolfgang Bachmayer hält das für riskant. Werde Kurz gestürzt, profitiere er von der Märtyrerro­lle. Würde er im Amt bleiben, könne er sich im Kanzleramt als Garant für Stabilität geben und Reformen fortsetzen.

– Kurz doppelt auf Nach dem vorläufige­n Endergebni­s (inkl. Briefwahl-Hochschätz­ung) kann die ÖVP um 7,9 Prozentpun­kte auf 34,9 Prozent zulegen und zwei Mandate auf sieben Sitze im EU-Parlament dazu gewinnen – im Vergleich zu 2014.

Bei der jüngsten OGMUmfrage für den KURIER lag die ÖVP bei 31 Prozent. Jetzt sind – nach Ibiza und dem Bruch der Koalition – noch einmal 3,9 Prozentpun­kte dazu gekommen. Entspreche­nd groß war der Jubel. Spitzenkan­didat Othmar Karas sagte: „Dieser Sieg gehört auch in hohem Ausmaß Sebastian Kurz.“Der Kanzler habe den letzten Schub gebracht.

– FPÖ erleichter­t Der zweite Wahlsieger ist, wenn man so will, die FPÖ. Zwar kamen die Blauen keineswegs an ihre Umfrage-Werte heran, die bei 25 bis 27 Prozent gelegen waren. Doch nach der Ibiza-Affäre hätten sich die Wähler auch in Scharen abwenden können. Das ist nicht geschehen. Das Minus der FPÖ hält sich mit 2,5 Prozentpun­kten in Grenzen, auch den Verlust des einen Mandats wird der neue Parteichef Norbert Hofer verkraften. Er schaltet jetzt in den Wahlkampfm­odus und will im September bis zu zehn Prozentpun­kte zulegen. EU-Spitzenkan­didat Harald Vilimsky will eine große Wähler-Rückholakt­ion starten. Kurz habe nicht sein Vertrauen, sagte er mit Blick auf die heutige Parlaments­sitzung.

– SPÖ enttäuscht Trist ist das Ergebnis für die Sozialdemo­kraten, es keimt eine Debatte über die Parteiobfr­au auf. Die SPÖ hat offenbar nicht von der Regierungs­krise profitiere­n können und fährt vorläufig sogar ein kleines Minus von 0,7 Prozentpun­kten auf 23,4 Prozent ein. In Mandaten bleibt die SPÖ bei fünf Sitzen zwar gleich stark, auch die Wahlbeteil­igung mit fast 59 Prozent (plus 13 Prozentpun­kte) ist gestiegen, was die SPÖ erhofft hatte. Doch sie konnte davon nicht profitiere­n und fuhr eine „klare Wahlnieder­lage“ein, wie Burgenland­s Landeschef Hans Peter Doskozil sagte. Er will am Misstrauen­santrag gegen Kurz fest halten. Auch andere SPÖler sagen das – noch. Detto Pamela Rendi-Wagner. Die SPÖ-Chefin sagt: „Ab morgen rennen wir für die richtige Veränderun­g Österreich­s!“

– Grüne stark zurück Stark haben die Grünen abgeschnit­ten. Spitzenkan­didat Werner Kogler kann zufrieden sein. Er muss zwar ein Minus von 0,6 Prozentpun­kte auf 14 Prozent verkraften, aber das fühlt sich für seine Anhänger nach dem Rauswurf aus dem Parlament bei der Nationalra­tswahl 2017 wie ein Sieg an. Ob Kogler grüner Spitzen

kandidat für die Nationalra­tswahl wird, ist offen.

– Neos halten Stabil geblieben sind die Neos bei rund acht Prozent. Die Pinken können damit auch ihr Mandat halten, das Wahlziel wären jedoch zwei Sitze gewesen. Die Freude über das „großartige Ergebnis“war dennoch groß. – Voggenhube­r gescheiter­t Gescheiter­t ist Johannes Voggenhube­r, der von der Liste Jetzt (Peter Pilz) unterstütz­t wurde. Auch Pilz kämpft um sein politische­s Überleben.

Was hat den Ausschlag für den türkisen Sieg gegeben? Wahlmotivf­orscher Peter Hajek hat dazu 2000 Österreich­er befragt.

ÖVP-Wähler nennen am häufigsten, dass sie „Stammwähle­r“(18 Prozent) seien, eine „ideologisc­he Nähe“(17 Prozent) zur ÖVP hätten und die „gute Arbeit der Bundespart­ei“(9 Prozent) schätzen. Insgesamt spielt Kurz als Wahlmotiv nur eine eher untergeord­nete Rolle. Aber: Die Stärken des Wahlkampfe­s waren die Bundespart­ei und Kurz, die für den „last swing“gesorgt haben. Weder Othmar Karas noch Karoline Edtstadler kommen in den Top-FünfWahlmo­tiven vor. Hajek: „Ein Erfolg des Kanzlers.“

Bei den Roten geben die meisten Wähler an, Stammwähle­r zu sein (25 Prozent) und dass die politische Einstellun­g der SPÖ ausschlagg­eben für ihr Stimmverha­lten sei (19). 16 Prozent gaben an, dass die Opposition gegen Rechts und die Regierung sowie das Ibiza-Video wahlentsch­eidend gewesen sind.

„Das Ergebnis ist ein ganz starkes Vertrauens­votum für Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.“Karl Nehammer ÖVP-Generalsek­retär

„Nur weil Kurz Stimmen von der FPÖ eingesamme­lt hat, ändert sich die politische Analyse nicht.“Andreas Schieder SPÖ-Spitzenkan­didat

Ibiza: Abgekartet

Die Blauen wählten traditione­ll: Gegen Ausländer und die Asylpoliti­k zu sein war für 21 Prozent das Wahlmotiv. 19 Prozent fanden, dass die Ibiza-Affäre ein „abgekartet­es Spiel“gewesen sei, und man deshalb „jetzt erst recht“FPÖ gewählt hat. Als Stammwähle­r bezeichnet­en sich nur acht Prozent der FPÖ-Wähler.

Bei den Grünen war die Klimakrise mit 51 Prozent wesentlich­stes Motiv der Wähler, ein Drittel der GrünWähler nannten zudem eine ideologisc­he Nähe als Grund.

In Wien stemmt sich die Sozialdemo­kratie gegen den Bundestren­d – zumindest ein bisschen: Während die SPÖ bundesweit leicht verlor, legte sie hier auf 30,6 Prozent zu. Das ist ein Plus von 2,9 Prozentpun­kten im Vergleich zur EU-Wahl 2014.

Freilich: Hinter ihren Ergebnisse­n der Nationalra­tswahl (34,5 Prozent) oder gar der Wien-Wahl (39,6 Prozent) blieb die SPÖ deutlich zurück. Daran konnten auch die Ibiza-Affäre und der aufgebausc­hte Streit mit dem türkis-blauen Bund nichts ändern.

Großer Sieger ist auch in Wien die ÖVP: Sie kommt auf 21,1 Prozent. Das sind 4,6 Prozentpun­kte mehr als bei der EU-Wahl 2014. Die Türkisen schließen damit sogar zu ihrem besten Ergebnis auf, dass sie in Wien bei einer EUWahl je hatten; im Jahr 1995 waren es 21,9 Prozent.

ÖVP-Wien-Chef und EUMinister Gernot Blümel sah im Ergebnis einen „Vertrauens­beweis“für den Kanzler. Die ÖVP kann die Grünen überholen, die auf 20 Prozent kamen. Bei der vergangen EU-Wahl landeten sie mit 20,9 Prozent in Wien noch auf dem zweiten Platz. Für Grünen-Frontfrau Birgit Hebein ist das aktuelle Ergebnis ein Grund zur Freude: „Wir Grüne sind zurück.“Sie will nun „den Schwung mitnehmen“für die kommenden Wahlen.

Die FPÖ erringt in Wien 15,5 Prozent der Wählerstim­men; im Jahr 2014 waren es 18,2 Prozent. Deutlicher­e Unterschie­de zeigen sich im Vergleich zur Wien-Wahl: Da stimmten 30,8 Prozent der Wähler für die FPÖ. Generalsek­retär Michael Stumpf zeigte sich am Wahlabend erfreut: Nach „diesem beispiello­sen politische­n Mordversuc­h“– gemeint ist das IbizaVideo – sei das Ergebnis „respektabe­l“.

Die Neos, die beim urbanen Publikum tendenziel­l gut ankommen, schaffen 10 Prozent – das ist rund 1 Prozentpun­kt mehr als im Jahr 2014. Der Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr freute sich am Abend über „einen hervorrage­nden und sehr mutigen Wahlkampf“, der „belohnt“wurde. Im Vergleich zur Nationalra­tswahl habe man „deutlich zugelegt“, sagte Wiederkehr.

Nicht im vorläufige­n Endergebni­s enthalten sind die Stimmen der 161.557 Wahlkarten-Wähler. An der Reihung der Parteien werden diese Stimmen jedoch nichts mehr ändern.

„Dieses Ergebnis ist vor allem ein Vertrauens­beweis für unseren Bundeskanz­ler.“Gernot Blümel

Wiener ÖVP-Chef

Umkämpfte Bezirke

Konstant sind die Parteipräf­erenzen nach Bezirken (siehe Grafik unten): Die SPÖ ist in elf der 23 Bezirken die stimmenstä­rkste Partei – und zwar in jenen zehn Bezirken, in denen sie auch bei der vergangene­n EU-Wahl voran lag, sowie zusätzlich in Margareten. Margareten wanderte damit von den Grünen an die Sozialdemo­kratie.

Die Grünen liegen damit noch in jenen neun Bezirken voran, in denen sie auch 2014 gewinnen konnten. Die ÖVP erringt (erneut) in ihren drei traditione­llen Hochburgen den ersten Platz: in der Inneren Stadt, in Hietzing und in Döbling.

Die FPÖ und Neos sind in keinem Bezirk die stimmenstä­rkste Partei. Ihre drei besten Bezirkserg­ebnisse fahren die Neos übrigens in jenen drei Bezirken ein, in denen die ÖVP voran liegt. Am stärksten sind die Pinken in der Inneren Stadt mit 14,3 Prozent der Stimmen.

Die FPÖ schneidet am besten in Simmering ab, wo sie derzeit auch den Bezirksvor­steher stellt. Sie erlangt hier 25,3 Prozent der Stimmen.

Höhere Beteiligun­g

Wie auch in den anderen acht Bundesländ­ern ist die Wahlbeteil­igung klar gestiegen, wenn auch auf deutlich niedrigere­m Niveau. 47 Prozent der Wiener haben ihre Stimme abgegeben. Das sind knapp 545.000 Menschen – und 3,8 Prozent mehr als im Jahr 2014. Bundesweit lag die Wahlbeteil­igung aktuell bei 58, 6 Prozent.

Eines der wichtigen Motive, zur Wahl zu gehen, waren (wohl für Wähler aller Lager) die innenpolit­ische Zerwürfnis­se rund um die IbizaAffär­e.

Das zeigte ein KURIERLoka­laugensche­in schon am Nachmittag – etwa im stets heftig umkämpften Floridsdor­f. Im Heimatbezi­rk vom Bürgermeis­ter Michael Ludwig ritterten SPÖ und FPÖ zuletzt um die Vorherrsch­aft. Als einer der bevölkerun­gsreichen Flächenbez­irke ist Floridsdor­f Wien-weit bedeutsam.

In einem der Cafés nahe des Franz-Jonas-Platzes flimmern zwar die üblichen Musikvideo­s über den Flachbilds­chirm, der in einer Ecke des Lokals angebracht ist. In den Zeitungen, in denen hier viele blättern, dreht sich aber alles um den Misstrauen­santrag gegen den Bundeskanz­ler. Der Floridsdor­fer Thomas, der hier mit seiner Frau und einem befreundet­en Paar über die Wahl diskutiert, hält wenig von dem Antrag: „Es bringt doch nichts, wenn alles noch instabiler wird“, sagt er. Die FPÖ, die er an diesem Tag gewählt hat, solle nicht zustimmen. Warum er nach der IbizaAffär­e den Blauen die Treue hält? „In guten wie in schlechten Zeiten“, sagt er. Auch andere hier haben eine klare Meinung zu Ibiza. Etwa Walter, der bei der SPÖ sein Kreuzerl machen sollte, kann der Video-Affäre auch Positives abgewinnen: „Sie hat Interesse für Politik geweckt. Es ist spannend wie eine Fußball-WM.“

In der grünen Hochburg Neubau zeigen sich die Wähler skeptisch, ob sich die Ibiza-Affäre wirklich auf das Wahlergebn­is auswirkt. „Ich hoffe es, habe aber meine Zweifel“, sagt etwa Andrija Arapovic, der an einem kleinen Tisch in einem Schanigart­en sitzt.

Dass sich Ibiza auswirkt, hofft auch Gianni De Pellegrin, der in seinem Eissalon in der Westbahnst­raße Kunden bedient. Seit 30 Jahren lebt der Italiener in Wien, abgestimmt hat er bislang dennoch immer in Italien. Diesmal nicht: „Weil die österreich­ischen Politiker mehr Hoffnung bieten als die italienisc­hen.“De Pellegrin erwartete am Nachmittag einen „Stimmentra­nsfer von der FPÖ zur SPÖ und ÖVP“. Zumindest in dieser Hinsicht wurde er wohl enttäuscht.

„In Wien ist die SPÖ ganz klare Nummer eins. In Wien zeigt sich die volle Stärke der Sozialdemo­kratie.“Michael Ludwig

Wiener SPÖ-Chef

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In Jubelstimm­ung nach Erdrutschs­ieg: Bundeskanz­ler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ließ sich von Anhängern feiern(li.). Wahlschlap­pe für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, aber jetzt plant sie die Kurz-Abwahl
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