Kurier

Nationale Politik bestimmte die Wahl

Österreich und Deutschlan­d, zwei Welten – mit Kanzler-Bonus und Kanzlerin-Malus.

- MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Tag eins nach der Wahl ist Tag eins für den nächsten Wahlkampf. Und der wird kein Kinderspaz­iergang. Die SPÖ, auf einem historisch­en Tiefstand, will Bundeskanz­ler Kurz heute stürzen. Dieser – obwohl gar nicht Kandidat – gilt aber als heimlicher Sieger der EU-Wahl. Vor dem Ibiza-Video lagen Türkis, Rot und Blau ja relativ nahe beieinande­r, und die ÖVP sorgte sich um die Wählermobi­lisierung. Die war dann plötzlich unbeabsich­tigt da. Aus dem Wahlergebn­is (und mehreren Umfragen) kann man herauslese­n, dass sich die Österreich­er keinen Kanzler-Abgang wünschen. Das SPÖ-Präsidium legte sich Sonntagnac­ht dennoch auf den Abwahlantr­ag fest. Für SPÖObfrau Pamela Rendi-Wagner ist das riskant: Ein rotblauer Denkzettel für Kurz könnte für die Sozialdemo­kratie als Schuss nach hinten losgehen. Schließlic­h ist Instabilit­ät dem Österreich­er ja ein Gräuel. Und Rendi-Wagner scheint selbst auch nicht ganz fest im SPÖ-Sattel zu sitzen.

Grüne sind in der Mitte angekommen

Dass Kurz mit seinem instabilen Regierungs­partner an der jetzigen Krise auch mitschuld war, fiel der ÖVP bei dieser Wahl nicht auf den Kopf. Und der FPÖ, als wahrer Auslöser des Regierungs­bruchs, gelang es teilweise, das Video als Angriff finsterer Mächte umzudeuten und in die Opferrolle zu schlüpfen. So konnten Stammwähle­r mobilisier­t und ein Debakel verhindert werden. Ein kräftiges Lebenszeic­hen haben Neos und Grüne gegeben. Letztere werden wohl wieder in den Nationalra­t einziehen, haben aber das Problem, dass sie ihre Wahlkampfl­okomotive Werner Kogler nicht vervielfäl­tigen können.

Von den deutschen Traumwerte­n können sie dennoch nur träumen. Die Grünen wurden im Nachbarlan­d zur zweitstärk­sten Kraft – sind dort nicht mehr nur linke Ökopartei, konnten in ganz Europa zulegen. Auch in Deutschlan­d spielte die Innenpolit­ik eine große Wahl-Rolle. Die Bürger sind extrem verdrossen über die Große Koalition und unzufriede­n mit ihrer Langzeitka­nzlerin. Sie haben der CDU ein empfindlic­hes Minus und der SPD ein Debakel beschert. Die „Bäume“der AfD sind immerhin nicht in den Himmel gewachsen – aber dass sie doppelt so stark ist, wie die liberale FDP, stimmt dennoch bedenklich. Sie alle werden im EU-Parlament sitzen – wo nationale Politik dann keine Rolle mehr spielen sollte.

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