Kurier

Untauglich!

Zu dick, schlechte Haltung, psychisch labil: Immer mehr 18-Jährige sind zu krank für den Präsenzdie­nst.

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Das Spektakel dauert zwei Tage, aber das geht in Ordnung, immerhin wird allerhand gemessen und gewogen. Es gilt das Lungenvolu­men zu bestimmen und Blutbilder zu erstellen. Die jungen Männer müssen ihre Kraft, die Hör- und Sehleistun­g testen lassen. Und weil auch die mentale Verfassung eine Rolle spielt, sitzen sie irgendwann auch vor einem Computer und lösen Aufgaben, mit denen sie absichtlic­h geärgert werden – das Militär will wissen, wie sie auf Frust reagieren.

38.600 junge Österreich­er waren im Vorjahr stellungsp­flichtig, sprich: Es wurde von Amts wegen überprüft, ob sie gesund genug sind, um Militär- oder Zivildiens­t zu leisten.

Seit Jahren zeigen die Testungen einen bedenklich­en Trend: Der Anteil der Untauglich­en steigt kontinuier­lich, in Wien ist mittlerwei­le einer von drei jungen Männern nicht mehr fürs Militär zu gebrauchen.

Österreich­weit wirken die Zahlen auf den ersten Blick nicht ganz so alarmieren­d: War vor zehn Jahren einer von fünf 18-Jährigen physisch und/oder psychisch zu schwach, ist es zehn Jahre später jeder vierte ( siehe Grafik).

Mit Sorge

In der Armee beobachtet man die Entwicklun­g dennoch mit Sorge – und das aus mehreren Gründen. „Zum einen muss man sagen, dass bei der Stellung statistisc­h gesehen ja die absolut gesündeste Bevölkerun­gsgruppe des Landes überprüft wird“, sagt Ärztin Sylvia Sperandio, die Chefin des Gesundheit­swesens im Militär zum KURIER.

Anders gesagt: In einem Land mit hohem Lebensstan­dard und einer tadellosen medizinisc­hen Versorgung sollte der durchschni­ttliche 18-Jährige eher gesünder und nicht kränker sein als frühere Generation­en. Dem nicht genug, sind es bisweilen gleich mehrere Einschränk­ungen, die die Untauglich­keit bedingen – und auch das ist neu.

So haben Haltungssc­häden und Stoffwechs­elerkranku­ngen in den vergangene­n Jahren auffallend zugenommen; in manchen Bereichen um bis zu 20 Prozent.

„Wir sehen mehr Übergewich­tige, was etwa auf fehlende Bewegung und hyperkalor­ische Ernährung zurückzufü­hren ist“, sagt Sperandio. Diese „Couch-Potatoes“hätten auch mental öfter Schwierigk­eiten. „Unter dem Übergewich­t leidet die Psyche, man ist weniger belastbar und stressresi­stent.“

Reizüberfl­utet

Mario Wallner, Militärpsy­chologe und Koordinato­r für das Stellungsw­esen im Heer, kann das nur bestätigen.

Konzentrat­ionsfähigk­eit und Frustratio­nstoleranz der 18-Jährigen nehmen merklich ab. „Wir beobachten viel häufiger Überforder­ungen, die in Ermüdungse­rscheinung­en münden. Die Kinder und Jugendlich­en sind offensicht­lich reizüberf lutet“, sagt er.

Und auch eine andere, beunruhige­nde Entwicklun­g ortet er: „Der gesunde Mittelbau nimmt ab.“

Vereinfach­t gesagt könne man sich das so vorstellen: Der durchschni­ttliche 18Jährige, der eine Lehre oder Schule macht, ein wenig sportelt und einrückt, werde seltener. „Stattdesse­n nehmen die Ränder zu: Da gibt es die extrem Leistungss­tarken und am anderen Ende die sehr wenig Belastbare­n.“

Für das Heer ist die sinkende Tauglichke­it – noch – kein Problem. „Wir können de facto 18 Jahre im Vorausplan­en und haben die Zahl der Funktionss­oldaten stark gesenkt“, sagt Ministeriu­mssprecher Michael Bauer. Soll heißen: Wenn weniger Rekruten einrücken, werden weniger im Feld ausgebilde­t. Für die Systemerha­ltung sind es allemal genug.

Das wahre Problem sieht Militär-Ärztin Sperandio wo anders: „Mit 18 hat man schon Verhaltens­muster, die sich mitunter nur mit Mühe ändern lassen. Die stark Übergewich­tigen von heute sind die Zuckerkran­ken von morgen.“

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