Michael Moore legt sich nicht nur mit Donald Trump an
Superheld oder Superspinner – das ist hier die Frage.
Ist der unverwundbare David Dunn, der Eisenstangen wie Butter biegen kann, tatsächlich unverwundbar – oder einfach nur sehr stark? Hat der verrückte Kevin Wendell Crumb, der wie eine Fliege die Wand hinauflaufen kann, tatsächlich übernatürlich Kräfte – oder ist er nur ein talentierter Kletterer? Und besitzt der mysteriöse Mr. Glass, dessen Knochen zerbrechlich sind wie Sektgläser, ein Superhirn – oder ist er schlicht geisteskrank?
„The Sixth Sense“-Regisseur M. Night Shyamalan hat seine Superhelden-Trilogie mit Furor beendet. In „Glass“versammelt er die zentralen Figuren seiner großen Hits zum beeindruckenden Klassentreffen: Samuel L. Jackson und Bruce Willis aus seinem verkulteten Superhero-Juwel „Unbreakable“brillieren neben James McAvoy und seinen multiplen Charakteren aus „Split“.
In „Unbreakable“überlebte Bruce Willis als Mr. Dunn ein Zugsunglück unverletzt und ließ sich darauf hin von dem zerbrechlichen Comic-Book-Spezialisten Sa- muel L. Jackson alias Elijah Price davon überzeugen, dass er unverwundbar, also ein menschlicher Superheld sei.
Das geschah im Jahr 2000, zu einem Zeitpunkt, als die Superhelden noch nicht seriell das Blockbuster-Kino verwüsteten.
Irre
Sechzehn Jahre später, in „Split“, leidet James McAvoy als Kevin Wendell Crumb an einer massiven Persönlichkeitsstörung. Unter anderem verwandelt er sich in „The Beast“, bläst sich zu gorillaar- tiger Größe auf und manscht Menschen.
In „Glass“schließlich vereint Shyamalan seine Erfolgstruppe in einer Irrenanstalt. Alle drei – ein angegrauter Bruce Willis als Mr. Dunn, ein hyperaktiver James McAvoy als „The Beast“und Samuel Jackson als Titelheld Mr. Glass – befinden sich in einem Hochsicherheitsgefängnis. Dort erklärt ihnen eine Psychiaterin mit sanfter Stimme, dass die Welt leider doch kein Comic-Hefterl ist; und sie, die drei Herren, daher auch keine Superhelden, zer- sondern nur drei Typen mit einem schweren Klescher.
Shyamalan erzielt Hochspannung auf engstem Raum und mit geringen Mitteln. Oft reicht ihm nur ein Scheinwerfer. Seine Schauspieler zwingt er zu einer (zähen) Tour de Force, allen voran den armen James McAvoy, der mit seinen mannigfachen Figuren Schwerstarbeit leistet: Mal brüllt er wie ein Löwe, mal lispelt er wie ein Neunjähriger – dazwischen erleidet er Epilepsie-ähnliche Anfälle. Sieht alles sehr anstrengend (und manchmal auch etwas albern) aus. Da bleibt Bruce Willis vergleichsweise schweigsam, während Samuel L. Jackson lange Zeit nur stier schaut oder mit einem Auge zuckt.
Hysterische Geigen kratzen auf dem Soundtrack, eine nervöse Kamera blinzelt ins Gegenlicht. Zahllose PlotTwists, eine (umstrittene) Spezialität des Regisseurs, reißen die Handlung hin- und her. Und natürlich hat M. Night Shyamalan auch seinen üblichen Cameo-Kurzauftritt. Nicht umsonst heißt sein großes Vorbild Hitchcock.
Michael Moore hat es immer schon gewusst: Während ganz Amerika vor den Präsidentschaftswahlen 2016 bereits Hillary Clinton als sichere Gewinnerin feierte, ahnte der Star-Dokumentarist schon, dass sich das Wahlverhalten der amerikanischen Arbeiterklasse gegen das sogenannte Establishment richten könnte. Und diese Donald Trump wählt.
Wie, zum Teufel, konnte das passieren?
In schönster MichaelMoore-Manier rückt der Filmemacher mit altbewährter Frechheit seinen Landsleuten auf den Leib. Nach einem kurzen, erwartbaren TrumpBashing knöpft sich Moore die Ereignisse im Hinterland vor. In seiner Heimatstadt Flint, Michigan, rollt er einen republikanischen PolitSkandal um dreckiges Wasser auf, im Zuge dessen Kinder mit Blei vergiftet wurden.
Aber auch vor den Demokraten macht Moore nicht Halt: Ein Besuch von Barack Obama in Flint, wo dieser demonstrativ ein Glas Wasser trinkt (und den Skandal banalisiert), steht symptomatisch für den Verrat einer liberalen Elite gegenüber ihrer Wählerschaft.
Effektvoll wirft Moore seine Propaganda-Maschine an und steigert seine Gegenwartsanalyse bin hin zum offenen Faschismus-Vergleich. Und ja, manchmal schießt er auch übers Ziel. Trotzdem bleibt seine Polemik packend, durchgehend unterhaltsam und überaus sehenswert.
Samuel L. Jackson sitzt als Titelheld Mr. Glass im Rollstuhl in einer Irrenanstalt und wartet auf den Moment der Rache: Shyamalans „Glass“
Doku.
Fahrenheit 11/9. KURIER-Wertung: