Kurier

„Sex ist gruselig, in jedem Alter“

Arlene Heyman. Die US-Psychiater­in debütierte mit Kurzgeschi­chten über eine schöne Beschäftig­ung mit 70

- VON PETER PISA

Der erste Satz der ersten Erzählung, die die New Yorker Psychiater­in undPsycho analytiker­in ArleneHeym­ange schrieben hat, lautet:

„Hast du Lust, mit mir zu schlafen?“

Der Mann, der das sagt, ist 71. Stu ist sein Vorname. Er wird Viagr an ehmenundw arten, auch seine Frau Marianne braucht noch etwas Zeit. Alles muss geplant werden, die Ausrüstung muss in gutem Zustands ein, Spontanitä­t?W ar einmal–Marianne hat nach dem Essen Säurereflu­x und muss deshalb noch eine dreivierte­l Stunde aufrecht sitzen, bevor ...

Klettert Stu zu ihr ins Bett, wird sie ihn betrachten und zum Ergebnis kommen: „... jede Falte so deutlich sichtbar, als wäre er einem Bild von Lucian Freud entsprunge­n.“

Niemandem über 40, so scherzt sie, sollte Sex bei Tageslicht gestattet sein.

In ihrer Fantasie wird Marianne an ihren verstorben­en ersten Ehemann denken. Dessen Penis war größer und nicht so grau.

Mehr als ein Drittel

„Scary Old Sex“heißt das Buch, das zurzeit um die Welt geht gewisserma­ßen. Der Titel wurde nicht übersetzt. Scary = unheimlich.

Die Autorin Arlene Heyman ist selbst über 70. Es ist ihr literarisc­hes Debüt und ein Anliegen: „Alte Leute sind wie du – nur älter.“

Eine Studie der Universitä­t in Manchester ergab kürzlich, dass mehr als ein Drittel der über 70-Jährigen sexuell aktiv sind.

Arlene Heyman lässt deshalb in Interviews immer den Satz fallen: „Sex ist immer gruselig, in jedem Alter.“Warum? Weil man ganz sich selbst ist. Fürchten muss man ihn allerdings nicht, die Frauen und Männer seien aufs Schönste beschäftig­t.

Das beschreibt sie in ihren kurzen Erzählunge­n. Und scheut – hier jetzt keimfrei formuliert – keine gängigen Bezeichnun­gen gewisser Körper regionen bzw. schildert genau gewisse Tätigkeite­n und Träume.

Nach verlogenen Szenen in „Fifty Shades“ist es FAST eine Wohltat zu lesen, dass „er“zu früh kommt und „ihr“dichter Haarbusch dahingegan­gen ist.

Arlene Heyman – zwei Ehen, zwei erwachsene Söhne – war vor rund 50 Jahren die Geliebte von Bernard Malamud (1914–1986), neben Bellow und Roth der bedeutends­te jüdisch-amerikanis­che Schriftste­ller des 20. Jahrhunder­ts.

Sie war damals 19, er um 25 Jahre älter (und ihr Lehrer am Bennington College in Vermont), und davon handelt jetzt eine ihrer sieben komischen, ernsten Geschichte­n ... Zitat:

„Die hier – und die hier –“Er drückte ihr einen schmatzend­en Kuss auf jede Brust – „sind barmherzig­e Kissen für meinen knochigen Leib!“

Malamud war verheirate­t, die Affäre wurde zur lebenslang­en Freundscha­ft. In ihren Dankeswort­en am Ende von „Scary Old Sex“schreibt Heyman, er sei „wie ein Klima“für sie gewesen.

Ein schöner Nachruf ist dieses wichtige Buch also auch noch.

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Sex im Alter ist kein Tabuthema: Psychiater­in Arlene Heyman, 75
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288 Seiten. 26,99 Euro.
Arlene Heyman: „Scary Old Sex“Übersetzt vonCorneli­a Holfelder-von der Tann. btb. 288 Seiten. 26,99 Euro.

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