Kurier

Mythen und Fakten

- ROLF GLEISSNER

Dass uns die Arbeit ausgeht, ist nur eine der Mythen zur digitalen Arbeitswel­t, für die es keine Evidenz gibt.

1. Arbeit geht uns aus: Der römische Kaiser Vespasian wies einmal den Erfinder kräftespar­ender Baumaschin­en mit dem Hinweis ab, die unruhige Unterschic­ht Roms müsse beschäftig­t werden. Heute steht die Digitalisi­erung für den jobbedrohe­nden Wandel. Die Fakten: Seit 2004 verlangsam­t sich laut OECD der technische Fortschrit­t, seit 2008 stagniert die Produktivi­tät internatio­nal sogar. Seit 2009 sind in Österreich 350.000 zusätzlich­e Jobs entstanden. Nach dem WIFO sollen zwischen 2016 und 2023 weitere 325.000 Arbeitsplä­tze dazu kommen. Da die Arbeit eben nicht ausgeht, ist eine generelle Arbeitszei­tverkürzun­g unnötig.

2. Prekäre Verhältnis­se nehmen zu: Macht die Digitalisi­erung die Arbeitswel­t noch schnellleb­iger und „prekärer“? Die Fakten: Laut Statistik Austria dauerte ein durchschni­ttliches Dienstverh­ältnis im Jahr 2004 und im Jahr 2016 jeweils genau 10,1 Jahre. 2004 waren ebenso wie 2017 rund 40 % aller erwerbsfäh­igen Österreich­er vollzeitbe­schäftigt. Stark rückläufig war der Anteil der erwerbsmäß­ig Inaktiven (z. B. Hausfrauen) und der freien Dienstnehm­er. Die Zahl der Selbststän­digen steigt moderat. Teilzeit nimmt massiv zu, ist aber von den Mitarbeite­rn meist gewollt. – Seit 2008 haben sich laut EU-SILC die Armutszahl­en in Österreich inkl. Working Poor erheblich reduziert und das trotz Krise sowie starker Zuwanderun­g aus ärmeren Ländern.

3. Sozialstaa­t ist gefährdet: Falls die Digitalisi­erung massiv Jobs kostet, könnte sie den Sozialstaa­t gefährden, der sich vor allem mit lohnbezoge­nen Abgaben finanziert. Fakt: Die Einnahmen der Sozialvers­icherung stiegen von 2006 bis 2016 um 47 %, während das BIP in dem Zeitraum nominell nur um 32 % zunahm. Der Sozialstaa­t ist somit nicht gefährdet, eine neue Steuer auf Wertschöpf­ung nicht nötig.

4. Crowdwork/neue Regeln: Das heimische Arbeits- und Sozialrech­t ist tatsächlic­h gut vorbereite­t: Zunächst sind alle Beschäftig­ungsformen pflichtver­sichert – im Gegensatz etwa zu Deutschlan­d. Echte Dienstnehm­er sind fast flächendec­kend durch Kollektivv­erträge und damit Mindestlöh­ne geschützt. Arbeit auf Abruf und damit auch „Nullstunde­nverträgen“hat die Judikatur einen Riegel vorgeschob­en. Die Abgrenzung zwischen Dienstnehm­ern und Selbststän­digen wird fast flächendec­kend und eher streng geprüft. Eine Umwandlung etwa infolge einer Finanzprüf­ung geht nur zulasten des (Neo)Dienstgebe­rs.

Diensthand­y & Co: Sie belasten Arbeitnehm­er in der Freizeit. In einer MarketUmfr­age aus 2017 geben Arbeitnehm­er an, im Schnitt 10 Minuten pro Tag in der Freizeit durch Anrufe, E-Mails, etc. beruf lich beanspruch­t zu werden. In derselben Umfrage antworten die Arbeitnehm­er aber, dass sie im Schnitt 21 Minuten pro Tag während der Arbeitszei­t privat telefonier­en, surfen, chatten, etc. Der Office Report 2017 kommt sogar auf 40 „Privatminu­ten“pro Tag. Unter dem Strich profitiere­n Arbeitnehm­er somit von Diensthand­y & Co bei der Arbeit.

Mag. Dr. Rolf Gleißner ist stv. Leiter der Abteilung für Sozialpoli­tik und Gesundheit der Wirtschaft­skammer Österreich

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