Wie die Angst vor Zahlen schmerzt
das Spaß macht, das ständig an neuen Problemstellungen angewendet werden kann, wo das Kind ständig dazulernen kann und die natürliche Neugierde dazu führt, dass es mehr dazulernen möchte.“
Zum Angstobjekt werde Mathematik allerdings erst in der Schule, meint Leuders: „Denn da wird es als eigenes Fach wahrgenommen.“Doch wie merken Lehrer oder Eltern, dass ein Kind mit Zahlen auf Kriegsfuß steht? „Sie versuchen, Aufgaben zu vermeiden. Sie schieben Hausübungen hinaus und wenden sich lieber anderen Dingen zu.“
Jetzt ist ein guter Pädagoge gefragt und die Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus: „Die Kinder müs- sen Freude entwickeln. Weil Mathematik mehr ist als bloßes Rechnen, kann man Schüler z.B. auffordern, sich Aufgaben auszudenken, die das Ergebnis 1000 haben. Da sind Kreativität und eigene Ideen auf unterschiedlichem Niveau gefragt“, sagt Leuders.
Kein Leistungsdruck
Die richtige Balance zwischen Erfolgserlebnissen und Anforderungen zu finden, ist das Ziel eines differenzierten Unterrichts. „Wenn Kinder ständig unter Leistungsdruck gesetzt werden und ständig Misserfolge haben, wird es nicht besser“, sagt Leuders. Eltern würden oft aus Sorge den Leistungsdruck noch verstärken. Ute Vonkilch hört in der Beratungssituation sehr oft von Müttern oder Vätern, „dass sie selbst große Schwierigkeiten in Mathematik hatten. Gerade diese Eltern sind es oft, die ihren Kindern mit Tricks und Schemata weiterhelfen wollen. Das Kind versucht oft erst gar nicht, Zusammenhänge zu verstehen.“
Auch die Lehrer will Vonkilch nicht aus der Verantwortung entlassen: „Schon in der Volksschule gibt es viele Inhalte, die nicht zeitgemäß sind oder fern jeglicher Realität. Da tauchen Textaufgaben auf, deren Inhalte für Kinder in jener Altersstufe auf wenig Interesse stoßen, was das Arbeiten damit nicht gerade fördert. Umwandlungen diverser veralteter Maße wie Dezimeter oder Ar werden zum Stolperstein. Das Dividieren mit zweistelligem Divisor stellt schon in der Volksschule für viele Kinder eine unüberwindbare Hürde dar. Viele Lehrer richten sich ausschließlich nach dem Schulbuch anstatt den Lehrplan zu lesen: Mut zur Lücke wäre wünschenswert.“
Die Bildungsstandards verlangen von den Lehrern sehr viel: „Verständnis sollte aufgebaut, Kommunikation gefördert werden, Kinder sollten Mathematik als etwas erfahren, das sie in lebenspraktischen Problemen anwenden können. Der herkömmliche Mathematikunterricht ist mit diesen Anforderungen überfordert, leider nicht selten auch die Pädagogen“, weiß man beim Recheninstitut. Doch um die mathematikdidaktische Ausbildung der Volksschullehrer steht es nicht überall zum besten. Immerhin können sie seit kurzem den Schwerpunkt „Science and Health“wählen, der sich auch mit Mathematik beschäftigt. Bezeichnend ist: Der einzige Lehrstuhl für Fachdidaktik der Grundschule in Österreich, den es an der Uni Klagenfurt gab, wird wohl nicht nachbesetzt. Lesen Sie morgen: Wo Mathematik überall drinsteckt Neurowissenschaft. Blackouts, Panik, Prüfungsstress kommen im Fach Mathematik besonders häufig vor. Wirklich wahr? Dass Zahlen bei Menschen regelrecht Angst auslösen können, ist tatsächlich kein böses Gerücht, sondern wissenschaftlich belegt. Bereits in den 1970er Jahren wurden dazu die ersten Studien gemacht. Damals nutzte man einfache Fragebogen, um herauszufinden, was Formeln und Zahlen bei Menschen auslösen.
2012 war man schon weiter: In Stanford (USA) untersuchte das Team um Christina Young von der Uni Stanfort (USA), was sich im Gehirn bei Menschen mit Matheangst tut. Sie forderte Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren auf, Additionsund Subtraktionsaufgaben zu lösen. Ihre Erkenntnis: Bei Matheängstlichen war besonders ein Areal im Gehirn aktiv, das auch bei physischem Schmerz oder körperlicher Bedrohung beteiligt ist – die Amygdala. Die Gehirnareale, die mit mathematischer Problemlösung assoziiert werden, zeigten hingegen weniger Aktivität.
Dass die Angst vor Zahlen nicht unbedingt etwas mit den mathematischen Fähigkeiten zu tun hat, fand der Psychologe Mark Ashcraft von der Universität Nevada (USA) heraus: Weil das Arbeitsgedächtnis damit belastet ist, die negativen Emotionen unter Kontrolle zu halten, bleibt weniger Kapazität für die eigentliche Aufgabe übrig – nämlich eine Addition im Kopf zu lösen.
Frauensache
Interessantes Detail: Frauen sind häufiger matheängstlich als Männer. Das heißt aber nicht, dass sie allgemein ängstlicher sind. Mathematikphobie ist ein weltweit verbreitetes Phänomen, wie der Tübinger Wissenschaftler Hans-Christoph Nürk herausgefunden hat. Allerdings geht man mit ihr nicht überall auf die gleiche Weise um. Unter iranischen Jugendlichen gelte es z.B. als „cool“, gut in Mathematik zu sein.