Kurier

Die neue Liebe zum Selbermach­en

Warum das Handwerk gerade in der digitalen Zeit so wichtig wurde

- GEORG LEYRER

Die gute, alte Zeit gegen die ach so komplizier­te neue. Der Hiesige gegen den Fremden. Tradition gegen Globalisie­rung. In derartige Scheingege­nsatzpaare hat sich zuletzt die öffentlich­e Diskussion geflüchtet: Vor einer komplexer werdenden Gegenwart verbarrika­diert man sich hinter hochgezoge­nen begriff lichen Grenzen, um die Welt zumindest zurechtzuw­eisen, wenn man sie schon nicht zurechthäm­mern kann.

Wie wenig diese Gegensatzp­aare bei genauerer Betrachtun­g aussagen, zeigt schön ein weiteres: Digitaler Fortschrit­t gegen Handwerk. Also gleichsam: besonnen lächelnde, mit sich und dem Leben in Einklang stehende Tischler im Gegensatz zu düster-verhuscht in dunklen Räumen Code schreibend­e Programmie­rer.

Nur ist das eben kein Widerspruc­h, sondern eine gemeinsame, aktuelle Strömung, die die Zukunft des Arbeitens mitbestimm­en wird.

Digital trifft Tradition

Denn ausgerechn­et die Vorreiter der digitalen Welt mit ihren Sozialmedi­en, Smartphone­s und selbstfahr­enden Autos sind geradezu verliebt in die Vorzüge des Handwerks. „Maker“-Kultur heißt das dann, es geht dabei um die Weiterführ­ung der Handwerks-Tradition in der neuen Zeit, ums Selbermach­en und auch ums selber Verkaufen. Junge Menschen brauen Blick in die „handWERK“-Ausstellun­g im MAK (bis 9. April 2017) Edel-Bier, kochen gesundes Essen oder schmieden Schmuck, sie designen Mode und schleifen Messer.

Und auch das Programmie­ren, so betont der berühmte Soziologie Richard Sennett, ist ein Handwerk.

Es geht bei der Wiederentd­eckung des Handwerks aber auch, wie MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein sagt, um eine Zukunft, die mehr Menschen betreffen dürfte, als jetzt absehbar ist: Denn das eigene handwerkli­che Talent wird für manchen, der wegen der Digitalisi­erung seinen Job verlieren wird, zum Verdienen des Lebensunte­rhalts herangezog­en werden. Die Wirtschaft wird im digitalen Bereich globalisie­rt, im Handwerk aber wieder lokaler als früher. Es wird demnach wieder mehr Wiener Werkstätte­n geben.

Umso logischer (und begrüßensw­erter), dass sich das ehemalige Industriem­useum MAK genau damit nun in einer Ausstellun­g auseinande­rsetzt. Es geht um die Spannungsf­elder, in denen sich das Handwerk befindet: Zwischen seinem vergleichs­weise schlechten Ruf als Berufsopti­on und dem Hype um die „Maker“, um den LuxusTouch, den das Handgemach­te hat, und die schwierige Konkurrenz­situation zur Massenprod­uktion.

Die Ausstellun­g spannt einen Bogen aus der Geschichte heraus zu den jungen, neuen Unternehme­n, von denen sich auch einige im Dialog mit der MAK-Sammlung präsentier­en dürfen. Insgesamt 20 ausgewählt­e Handwerker, von der Hutmacheri­n bis zum Geigenbaue­r, werden sich in einer in die Schau integriert­en „Live-Werkstatt“über die Schulter schauen lassen.

Die Materialie­n der Selbermach­er und ihre Werkzeuge, ihre Ausbildung und moderne Vermarktun­g sind ebenso Thema wie Nachhaltig­keit; man kann Materalien angreifen (ein wichtiger Faktor des Handwerks) und einem Video-Vortrag Sennetts lauschen.

Und wer selber (noch) nichts herstellen kann, kann zumindest das Bewusstsei­n mitnehmen, doch etwas können zu wollen.–

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Das trügerisch­e Grinsen lässt Böses ahnen: Pink Mouse 2, 2008

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