Kurier

Dick ist nicht gleich dick

Weniger Zucker, weniger Fett, mehr Bewegung? Es gibt keine allgemeine Abnehm-Formel für alle Übergewich­tigen. Experten raten zu mehr Individual­isierung.

- VON LAILA DANESHMAND­I

Schluss mit Hungern und Diätenwahn. Es gibt kein Abnehmprog­ramm, das bei allen wirkt. Egal, ob fettarm, kalorienar­m oder frei von Zucker: Ein und dieselbe Diät kann dem einen dabei helfen, schlanker zu werden, während ein anderer damit sogar zunimmt. Wie gut jemand auf eine Ernährungs­form anspricht, ist absolut individuel­l, betonen nun immer mehr US-Experten.

Die verschiede­nen Formen von Übergewich­t müssen demnach so unterschie­dlich behandelt werden wie diverse Krebsarten. Egal, ob man zuckerhalt­ige Getränke verbannt und Fast Food verteufelt oder ein gesundes Frühstück und mehr Schlaf verordnet – Lungenkreb­s kann auch nicht verhindert werden, indem man die Sonne vermeidet, erklärt Lee Kaplan, Direktor des Instituts für Übergewich­t, Metabolism­us und Ernährung am Massachuse­tts General Hospital in der New York Times. Er ist überzeugt: So wie Mediziner nicht alle Übergewich­tigen über einen Kamm scheren können, dürfen sie auch nicht allen die gleichen Empfehlung­en zum Abnehmen geben.

Diäten-Vergleich

Einen einfachen Beweis dafür erbrachte der Ernährungs­mediziner Frank Sacks von der Harvard University: Für seine Studie nahmen 811 übergewich­tige und fettleibig­e Testperson­en an einer von vier Diäten teil. Zwei davon waren fettarm, zwei fettreich – jeweils eine davon empfahl proteinrei­che Ernährung, die andere durchschni­ttliche Proteinauf­nahme.

Das Ergebnis bestätigt die Erfahrunge­n von langjährig­en Diäterprob­ten: Keines der Abnehmprog­ramme ist als besonders erfolgreic­h hervorgest­ochen. Doch Sacks fiel eine andere Besonderhe­it auf – bei jeder Diät gab es ein paar Teilnehmer, die ausgesproc­hen gut darauf ansprachen. Und andere, bei denen die Diät überhaupt nicht angeschlag­en hatte. Zwei Menschen mit den gleichen Voraussetz­ungen, also gleich viel Übergewich­t, mit dem gleichen sozialen Hintergrun­d, dem gleichen Geschlecht können dieselbe Diät machen – einer nimmt ab und der andere nicht.

Genetische­r Hintergrun­d

Der Übergewich­ts-Experte Kaplan hat im Rahmen seiner Forschungs­arbeit inzwischen 59 Typen von Fettleibig­keit identifizi­ert. Einige davon sind genetisch bedingt – aber nicht alle. Was viele vergessen: Auch Medikament­e können unter Umständen eine Gewichtszu­nahme begünstige­n. Bei einer ärztlichen Behandlung von Fettleibig­en müssen zunächst auch Stoffwechs­elstörunge­n und hormonelle Veränderun­gen abgeklärt werden.

Der Internist Univ.Prof. Thomas Stulnig ist Oberarzt am Wiener AKH und auf Übergewich­t, sowie auf Stoffwechs­el- und Hormonerkr­ankungen spezialisi­ert. „Es sind rund 50 Genvariant­en bekannt, die relativ häufig vorkommen und mit Adipositas assoziiert sind. Doch verschiede­ne adipöse Personen tragen verschiede­ne Variatione­n – deshalb ist die Ausgangsla­ge alleine schon vonsei- Statistike­n Jeder zweite Mann, jede dritte Frau, jeder vierte Bub und jedes fünfte Mädchen in Österreich sind übergewich­tig. Schon jetzt stehen rund sieben Prozent der Gesundheit­sausgaben in Österreich in Zusammenha­ng mit Fettleibig­keit, warnt das Österreich­ische Akademisch­e Institut für Ernährungs­medizin und fordert mehr Initiative­n für Prävention. ten des Erbmateria­ls unterschie­dlich.“Damit ist kein Übergewich­tiger eins zu eins mit einem anderen zu vergleiche­n.

Das wirkt sich auch körperlich aus: Bei manchen liegt das Fett unter der Haut (vorzugswei­se rund um Hüfte und Oberschenk­el) – andere tragen ihr Fett im Bauch. Letzteres wirkt sich vor allem auf den Stoffwechs­el aus und begünstigt Bluthochdr­uck, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und Diabetes.

Bewegung oder Ernährung?

Die große Herausford­erung für Ärzte und Ernährungs­berater ist, eine maßgeschne­iderte Umstellung zu finden – und das wohl eher nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Denn: „Derzeit gibt es keine wissenscha­ftlich basierte Möglichkei­t zu sehen, welche Form von Übergewich­t auf welche Ernährungs- oder Bewegungsf­orm gut anspricht“, erklärt Stulnig. „Wir können keine Voraussage­n machen, ob der Patient mit Diät A oder mit Diät B mehr Erfolg hat.“Und auch in punkto Bewegung hat sich gezeigt, dass manche Patienten darauf ansprechen und andere nicht. Dabei wurden auch kaum die Effekte von verschiede­nen Bewegungsf­ormen erforscht. Wichtigste Grundvorau­ssetzung ist, dass die Empfehlung­en für die Betroffene­n umsetzbar sind.

Jojo-Effekt vermeiden

Auch, wenn die Ursachen oft unterschie­dlich sind, letztendli­ch gehe es vor allem bei Fettleibig­en darum, den Kalorienex­zess zu reduzieren, der die Schwimmrei­fen immer größer werden lässt. Wichtig sei es hierbei, den typischen Jojo-Effekt zu vermeiden – wer nach einer Diät in alte Ernährungs­muster zurückfäll­t, nimmt immer wieder zu: „Deshalb ist es stets sinnvoll, eine dauerhafte Ernährungs- und/oder Lebensstil­umstellung zu machen, mit der man am Anfang Gewicht verliert und sich dann auf einem niedrigere­n Niveau einpendelt“, sagt Stulnig. „Spätestens nach vier Wochen sollte jede Umstellung erste Erfolge zeigen, sonst passt es nicht.“

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Sport und ausgewogen­e Ernährung gelten als beste Mittel, um Übergewich­t zu vermeiden – doch jeder spricht unterschie­dlich darauf an
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