Kurier

Defizitreg­eln sind „zu komplizier­t“

Österreich­er Lerchbaume­r blickt zurück: Ende des Euro befürchtet­e er nie

- AUS BRÜSSEL MARGARETHA KOPEINIG

Knapp 26 Jahre war Gerhard Lerchbaume­r als Vertreter des Finanzmini­steriums in Brüssel tätig. Der Insider der Finanz-und Währungspo­litik verlässt nun die EU-Zentrale und tritt seinen Ruhestand an. Auf EU-Ebene wird er weiter als Experte tätig sein. KURIER: Herr Lerchbaume­r, was waren die Höhepunkte in einem Vierteljah­rhundert? Gerhard Lerchbaume­r: Es war nie langweilig. Höhepunkte waren die Beitrittsv­erhandlung­en Österreich­s und die Euro-Vorbereitu­ngen einschließ­lich der Festsetzun­g der endgültige­n Umrechnung­skurse am Silvestert­ag 1998 unter dem österreich­ischen Vorsitzend­en Edlinger. Der Euro war zweifellos ein positiv besetztes Projekt bei den Menschen. Rechneten Sie in der Schuldenkr­ise mit dem Ende des Euro?

Diese Angst habe ich nie wirklich gehabt. Für die Krisenbekä­mpfung gab es allerdings weder Erfahrunge­n noch Modell. Alles wurde aus der Not heraus entwickelt. Am Höhepunkt der Eurokrise konnte man nicht ausschließ­en, dass ein Land aus dem Eu- ro und daher temporär auch aus der EU austreten muss. Nun ist die Eurozone aufgrund der Schaffung wirkungsvo­ller Instrument­e wie z. B. des ESM und gesunkener Defizite viel besser vorbereite­t. Wer verhindert­e den Euro- Austritt Griechenla­nds?

Niemand wünschte sich ein Ausscheide­n. Der damali- ge Eurogruppe­n-Chef Juncker hat mit Hartnäckig­keit eine sehr große Rolle gespielt. Als Gegenleist­ung für die Solidaritä­t der Eurozone und des IWF wurden strenge Reformen verlangt – seitens mancher Geberlände­r auch vor dem Hintergrun­d der Stimmung in der Bevölkerun­g und nationaler parlamenta­rischer Erforderni­sse. Warum ist Deutschlan­d gegen den vom IWF geforderte­n Schuldensc­hnitt für Griechenla­nd?

Nicht nur Deutschlan­d, auch Österreich und andere Mitgliedss­taaten sind dagegen. Damit soll ein Anreiz für zukünftige ausufernde Budgetpoli­tik anderer vermieden werden. Die Logik, keinen Schuldensc­hnitt zu machen, ist eine doppelte: Das ausgeliehe­ne Geld soll zurückgeza­hlt werden, und Griechenla­nd muss im Rahmen einer nachhaltig­en Finanzschu­ld seine Budget- situation selbst meistern. Wie steht es um Italien? Die Krise dürfte sich bei einem möglichen negativen Ausgang des Verfassung­sreferendu­ms am 4. Dezember verschlimm­ern.

Ob sich eine Schief lage Italiens verstärken würde, kann man nicht vorhersage­n. Märkte reagieren aber immer sensibel. Weil Italien ein bedeutende­r Mitgliedss­taat ist und ich das Projekt Euro und Europa so wichtig finde, hoffe ich, dass es nicht so weit kommt. Italiens Ex-Premier und Ex-Kommission­schef Prodi hat kürzlich gesagt, die Maastricht-Kriterien seien falsch. Hat er recht?

Prodi hat schon immer kritisiert, dass das Drei-ProzentDef­izit-Kriterium und die Gesamtvers­chuldung von 60 Prozent willkürlic­h seien. Das stimmt auch. Das ganze Instrument­arium des sogenannte­n Stabilität­spaktes ist nun sehr, vielleicht sogar zu komplizier­t geworden. Anderseits ist aber unabdingba­r, dass es in der Eurozone Kriterien und Verfahren für eine gesunde und stabile Budgetsitu­ation in ihren Ländern gibt. Die Menschen haben für die Rettung der Banken bezahlt. Finanzspek­ulanten hingegen sind ohne Schaden davongekom­men. Viele finden das ungerecht. Stimmt der Eindruck?

Das Gefühl ist nicht falsch, und es trägt zu den wachsenden populistis­chen Strömungen bei. Allerdings ist Populismus kein Spezifikum in EU-Ländern, siehe TrumpWahl in den USA. Die EU-Kommission versucht gegenzuste­uern und und ruft milliarden­schwere Investitio­nsprogramm­e ins Leben, um Wachstum und Beschäftig­ung zu schaffen. Was kommt – außer Brexit und unvorherge­sehene Krisen – auf Österreich­s EU-Präsidents­chaft in der 2. Hälfte 2018 zu?

Der Vorschlag für den Finanzrahm­en 2021 bis 2027 kommt Ende 2017. Österreich hat dabei sicher nicht die finalen, aber wichtige vorbereite­nde Verhandlun­gen zu leiten. Die Last bei den Brexit-Verhandlun­gen trägt neben Österreich sicher auch die EU-Kommission. Die politische Verantwort­ung liegt letztlich beim Europäisch­en Rat. Jedenfalls ist der 1. Juli 2018 vor dem Hintergrun­d der gegenwärti­gen Situation in Europa und der Welt noch weit entfernt.

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Lerchbaume­r – hier mit Finanzmini­ster Schelling – hatte nie Angst, dass die Eurozone zerfällt

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