Deutschland (be)sucht den Wohnbaustadtrat
Nicht zuletzt durch die Aufnahme vieler Flüchtlinge ist auch in Deutschland der Bedarf an neuen Wohnungen hoch. „Wir rechnen im Moment damit, dass wir einen jährlichen Mehrbedarf von mindestens 350.000 Wohnungen bis zum Jahr 2020 haben“, sagt der deutsche Staatssekretär für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung Gunther Adler zum KURIER. Adler kam auf Einladung von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig nach Wien, um sich anzusehen, wie die Stadt die Herausforderungen meistert. „Wir können viel von Wien lernen“, sagt Adler. „Denn Wien ist sehr experimentierfreudig und modern im Bauen und sehr sozial ausgerichtet. Da gibt es bei uns Nachholbedarf.“
Man stehe vor den gleichen Herausforderungen und betreibe daher einen regen Gedankenaustausch, erklärt Ludwig: „Anders als die meisten deutschen Städte hat Wien aber nie seine Wohnungsbestände privatisiert.“Adler pflichtet bei: „Ich glaube, so manche Kommune würde das heute nicht mehr tun. Manche Kommunen kaufen die Wohnungen sogar wieder zurück.“
Aber auch neue Wohnungen werden bei unserem Nachbarn dringend gebraucht. Pro Jahr stellt die deutsche Regierung daher ei- ne Milliarde Euro an Förderung zur Verfügung. Zum Vergleich: Wien bekam zuletzt jährlich 450 Millionen an Wohnbauförderungen vom Bund, dazu wurden selbst weitere 150 Millionen Euro draufgelegt. „Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren zu wenig getan. Gerade im Bereich des sozialen Wohnbaus“, bestätigt Adler. Daher sei man in Gesprächen, das Wohnbaupaket auf zwei Milliarden pro Jahr aufzustocken. Dazu werden auch steuerliche Anreize geschaffen, die private Investoren locken sollen.
Allerdings sind die Errichtungskosten in Deutschland höher als hierzulande. Ein Kostentreiber sind die Normen, etwa beim Brandschutz. „Wenn wir bezahlbares Wohnen wollen, müssen wir durch überarbeitete Normen die Kostensteigerungen begrenzen“, sagt Adler. Wiener Experten erklären ihren deutschen Kollegen daher, wie mit weniger Ressourcen ein guter Brandschutz sichergestellt wird. Wie viel man dadurch einsparen könnte, möchte Adler nicht beziffern: „Aber jedes halbe Prozent, das wir an Baukosten senken können, wirkt sich auch auf die Mieten aus. Daher lohnt sich jede Diskussion.“ In Wien stehen zugleich viele Geschäftslokale leer. Ab Mai soll daher die Leerstandsagentur „Kreative Räume“starten, um Hausverwalter und Immobilienentwickler mit der Kreativwirtschaft zu vernetzen. Betrieben wird die Plattform von „Soho in Ottakring“-Initiatorin Ula Schneider gemeinsam mit dem Ingenieur- und Designbüro Kohlmayr/Lutter/Knapp. Dotiert ist die Agentur mit 450.000 Euro für drei Jahre.
Kritik kommt von der ÖVP. „Seit 2010 wurde großspurig eine Leerstandsagentur von der rot-grünen Stadtregierung angekündigt. Nach fast sechs Jahren wird diese angeblich Realität“, sagt VP-Chef Gernot Blümel, der nun Taten fordert. Zu oft würden innovative Projekte verhindert. „Was wir brauchen, ist weniger Bürokratie und mehr Berechenbarkeit.“