Justizreform Verhör von Verdächtigen verkommt zur Farce
Einvernahme. Beschuldigter soll vor Antwort Verteidiger befragen dürfen. Richter und Ankläger laufen Sturm.
Nach einem Reformplan von Justizminister Wolfgang Brandstetter sollen Strafverteidiger in Einvernahmen von Beschuldigten eingreifen dürfen. Der Verdächtige hat das Recht, sich bei jeder Frage mit dem Anwalt beraten zu dürfen. Richter, Staatsanwälte und die Polizei befürch- ten, dass die Befragung ausufert und zum bloßen Gedankenaustausch zwischen Ermittler bzw. Ankläger und Beschuldigtem verkommt. Mit spontanen Aussagen oder gar Geständnissen sei nicht mehr zu rechnen. Die massive Kritik gibt im Justizressort zu denken.
Man stelle sich vor, der von Michel Serrault gespielte Tatverdächtige im französischen Filmklassiker „Das Verhör“hätte sich bei seinem Verteidiger vor jeder Frage Rat geholt, was er antworten soll. Kommissar Lino Ventura wäre nie zu einem Geständnis gekommen.
Das ist die geplante Regieanweisung von Justizminister Wolfgang Brandstetter für die künftige Vernehmung. In seinem Entwurf zur Reform der Strafprozessordnung ist unter anderem vorgesehen, dass sich Beschuldigte sowohl im Ermittlungsverfahren vor der Polizei als auch im Prozess vor jeder einzelnen Frage mit ihrem Anwalt besprechen dürfen. Anfang März soll das Gesetz dem Parlament vorgelegt werden, doch macht sich bereits heftiger Widerstand breit.
Wirksame Teilnahme
Nach der Strafprozessordnung ist es schon jetzt zulässig, dass sich Beschuldigte vor der Befragung mit ihrem Rechtsbeistand unter vier Augen beraten. Während der Einvernahme darf der Anwalt nur stumm dabeisitzen, anschließend die eine oder andere Frage stellen und vom vernehmenden Kriminalbeamten oder Staatsanwalt Erläuterungen verlangen. Die auf Basis des EU-Rechts aufgebauten Richtlinien sprechen von einer „wirksamen Teilnahme des Rechtsbeistandes“.
Wird diese Teilnahme so interpretiert, dass der Verteidiger direkt in das Verhör eingreifen kann, dann ist nach Ansicht der Polizei die „Dynamik der Vernehmung“erheblich gestört. Im Klartext: Geständnisse nach zermürbenden Verhören kann man sich abschminken. Das Innenmi- nisterium lehnt die geplante Neuerung mit der Formulierung ab, dass diese eine „authentische Schilderung“der Tat durch den Beschuldigten verhindern würde.
Der Wiener Oberstaatsanwalt Peter Gildemeister hält die Beobachtung der „spontanen Reaktion des Beschuldigten auf überraschende Fragestellungen“aus kriminaltaktischer Sicht für unbedingt erforderlich. Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien, Gerhard Jelinek, rechnet mit „teils gravierenden Änderungen im Aussageverhalten Beschuldigter“. Der Präsident der Vereinigung der Staatsanwälte, Gerhard Jarosch, befürchtet eine Verlängerung der Prozessdauer. Ohnehin langwierige Verfahren in komplexen Wirtschaftsstrafsachen wie der Causa Telekom seien zum Scheitern verdammt.
Schwerwiegende Bedenken kommen auch vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (OGH), Eckart Ratz: Die Beantwortung einer Frage erst nach Beratung mit dem Anwalt mache den Beschuldigten zum Sprachrohr seines Verteidigers. Ratz befürchtet eine Weiterentwicklung in Richtung „ZweiKlassen-Justiz“, stehe unvertretenen Angeklagten in Verfahren ohne zwingend notwendige Verteidigung bei ihrer Vernehmung doch „kein Souffleur“zur Verfügung.
Sektionschef Christian Pilnacek, im Justizministerium für Gesetzesreformen zuständig, ist über die Heftigkeit der Reaktionen überrascht. Es gebe zu denken, dass auch der OGH Einwände habe. Man müsse überprüfen, ob die häufige Unterbrechung einer Vernehmung vernehmungspsychologisch Sinn mache.
Aus Deutschland, wo es das Recht auf laufende Beratung während der Befragung schon lang gibt, zeige sich ein wesentlicher Anstieg der Verfahrensdauer. Pilnacek kann dem Vorschlag von Ratz etwas abgewinnen, das Fragerecht des Verteidigers auszuweiten, statt dass dieser die Antworten seines Klienten vorgibt.
„Die Antwort des Angeklagten wird durch die seines Verteidigers ersetzt.“
Eckart Ratz OGH-Präsident
„Wir sind in der Bewertungsphase. Wenn auch der OGH Einwände hat, gibt uns das zu denken.“
Christian Pilnacek Sektionschef