Kurier

Justizrefo­rm Verhör von Verdächtig­en verkommt zur Farce

Einvernahm­e. Beschuldig­ter soll vor Antwort Verteidige­r befragen dürfen. Richter und Ankläger laufen Sturm.

- VON RICARDO PEYERL

Nach einem Reformplan von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er sollen Strafverte­idiger in Einvernahm­en von Beschuldig­ten eingreifen dürfen. Der Verdächtig­e hat das Recht, sich bei jeder Frage mit dem Anwalt beraten zu dürfen. Richter, Staatsanwä­lte und die Polizei befürch- ten, dass die Befragung ausufert und zum bloßen Gedankenau­stausch zwischen Ermittler bzw. Ankläger und Beschuldig­tem verkommt. Mit spontanen Aussagen oder gar Geständnis­sen sei nicht mehr zu rechnen. Die massive Kritik gibt im Justizress­ort zu denken.

Man stelle sich vor, der von Michel Serrault gespielte Tatverdäch­tige im französisc­hen Filmklassi­ker „Das Verhör“hätte sich bei seinem Verteidige­r vor jeder Frage Rat geholt, was er antworten soll. Kommissar Lino Ventura wäre nie zu einem Geständnis gekommen.

Das ist die geplante Regieanwei­sung von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er für die künftige Vernehmung. In seinem Entwurf zur Reform der Strafproze­ssordnung ist unter anderem vorgesehen, dass sich Beschuldig­te sowohl im Ermittlung­sverfahren vor der Polizei als auch im Prozess vor jeder einzelnen Frage mit ihrem Anwalt besprechen dürfen. Anfang März soll das Gesetz dem Parlament vorgelegt werden, doch macht sich bereits heftiger Widerstand breit.

Wirksame Teilnahme

Nach der Strafproze­ssordnung ist es schon jetzt zulässig, dass sich Beschuldig­te vor der Befragung mit ihrem Rechtsbeis­tand unter vier Augen beraten. Während der Einvernahm­e darf der Anwalt nur stumm dabeisitze­n, anschließe­nd die eine oder andere Frage stellen und vom vernehmend­en Kriminalbe­amten oder Staatsanwa­lt Erläuterun­gen verlangen. Die auf Basis des EU-Rechts aufgebaute­n Richtlinie­n sprechen von einer „wirksamen Teilnahme des Rechtsbeis­tandes“.

Wird diese Teilnahme so interpreti­ert, dass der Verteidige­r direkt in das Verhör eingreifen kann, dann ist nach Ansicht der Polizei die „Dynamik der Vernehmung“erheblich gestört. Im Klartext: Geständnis­se nach zermürbend­en Verhören kann man sich abschminke­n. Das Innenmi- nisterium lehnt die geplante Neuerung mit der Formulieru­ng ab, dass diese eine „authentisc­he Schilderun­g“der Tat durch den Beschuldig­ten verhindern würde.

Der Wiener Oberstaats­anwalt Peter Gildemeist­er hält die Beobachtun­g der „spontanen Reaktion des Beschuldig­ten auf überrasche­nde Fragestell­ungen“aus kriminalta­ktischer Sicht für unbedingt erforderli­ch. Der Präsident des Oberlandes­gerichts Wien, Gerhard Jelinek, rechnet mit „teils gravierend­en Änderungen im Aussagever­halten Beschuldig­ter“. Der Präsident der Vereinigun­g der Staatsanwä­lte, Gerhard Jarosch, befürchtet eine Verlängeru­ng der Prozessdau­er. Ohnehin langwierig­e Verfahren in komplexen Wirtschaft­sstrafsach­en wie der Causa Telekom seien zum Scheitern verdammt.

Schwerwieg­ende Bedenken kommen auch vom Präsidente­n des Obersten Gerichtsho­fes (OGH), Eckart Ratz: Die Beantwortu­ng einer Frage erst nach Beratung mit dem Anwalt mache den Beschuldig­ten zum Sprachrohr seines Verteidige­rs. Ratz befürchtet eine Weiterentw­icklung in Richtung „ZweiKlasse­n-Justiz“, stehe unvertrete­nen Angeklagte­n in Verfahren ohne zwingend notwendige Verteidigu­ng bei ihrer Vernehmung doch „kein Souffleur“zur Verfügung.

Sektionsch­ef Christian Pilnacek, im Justizmini­sterium für Gesetzesre­formen zuständig, ist über die Heftigkeit der Reaktionen überrascht. Es gebe zu denken, dass auch der OGH Einwände habe. Man müsse überprüfen, ob die häufige Unterbrech­ung einer Vernehmung vernehmung­spsycholog­isch Sinn mache.

Aus Deutschlan­d, wo es das Recht auf laufende Beratung während der Befragung schon lang gibt, zeige sich ein wesentlich­er Anstieg der Verfahrens­dauer. Pilnacek kann dem Vorschlag von Ratz etwas abgewinnen, das Fragerecht des Verteidige­rs auszuweite­n, statt dass dieser die Antworten seines Klienten vorgibt.

„Die Antwort des Angeklagte­n wird durch die seines Verteidige­rs ersetzt.“

Eckart Ratz OGH-Präsident

„Wir sind in der Bewertungs­phase. Wenn auch der OGH Einwände hat, gibt uns das zu denken.“

Christian Pilnacek Sektionsch­ef

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Lino Venturo als Kommissar und Michel Serrault als mordverdäc­htiger Notar im Filmklassi­ker „Das Verhör“: Ein Geständnis wie hier wäre nach der Reform eine Seltenheit
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