Ohne Sauerstoff kein Leben
Was bringen S mir denn da?“, fragte der Bezirksrichter, als Herr N. ein winziges, eingetopftes Zwergbäumchen, eine Kerze und ein Einsiedeglas in den Saal brachte.
„Ich möchte Ihnen, mit Verlaub, ein wissenschaftliches Experiment vorführen“, sagte Herr N. „Derf i de Sachn aufn Richtertisch stelln? Den Akt ruck ma a bisserl auf d Seitn, dann hab i Platz. Dankeschön!
So. Bitte: I zünd jetzt des Kerzerl an, stells nebn des klane Bamerl und stülpe nun das Einsiedeglas darüber. Jetzt, bitte, schauen wir auf die Uhr, wie lange des Kerzerl brennen wird. Es is ja in dem Einsiadglasl nur eine gewisse Menge Sauerstoff vorhanden, und wenn der verbraucht is, geht das Flammerl aus. Es brennt jetzt zwanzig Sekunden, vierzig, eine Minute, des Kerzerl brennt no wunderschön. Jetzt hamma anderthalb Minuten, jetzt wirds schwächer. Des is wia bei an Menschen, Herr Rat, wann er ka Luft kriagt. Ohne Sauerstoff gibts ka Leben.
Jetzt hamma zwa Minuten, zwa zehn, des Flammerl is scho ganz schwach. Ein letztes Flackern. Aus is. Zwa Minutn und fünfazwanzg Sekundn hat das Kerzerl brennt, Herr Rat. Darf ich nun zum zweiten Teil des Experimentes schreiten?“
„Sie dürfen“, sagte der Richter. „Aber verbrennen S mir nicht den Tisch. Der gehört dem Staat.“
„I pass scho auf“, sagte Herr N., hob das Einsiedeglas und entfernte das Bäumchen. Dann zündete er die Kerze von Neuem an und stülpte das Glas wieder darüber.
„So, bitte: Jetzt steht das Kerzel ganz allein im Glas und hat theoretisch mehr Luft zur Verfügung als vurhin, weil ja des Bamerl mitn Topf sehr vül Platz weggnumma hat. Und jetzt werdn ma schaun, wia lang des Kerzerl ohne Bamerl brennt. Wirds länger brennen, weils mehr Platz und mehr Sauerstoff hat? Mitnichten! Es beginnt bereits zu flackern! Die Flamme wird kleiner, obwohl erst eine Minute und zehn Sekunden vergangen sind! Und jetzt gehts aus! Das Kerzerl hat dermal nur eine Minute und fünfunddreißig Sekunden gebrannt. Es ist um genau fuffzig Sekunden früher verlöscht!
Und warum? Weil das kleine Bäumchen, so klans aa is, unentwegt so vül Sauerstoff abgegeben hat, dass das Kerzenflammerl um ein Drittel der Zeit länger leben konnte! Und dasselbe gilt auch für uns Menschen. Mehr habe ich zu meiner Verantwortung nicht zu sagen. Ich danke dem hohen Gericht vielmals, dass ich den Verhandlungssaal für ein Weilchen als Physiksaal benutzen durfte.“
Herr N. wurde vor Gericht freigesprochen. Er war mit einem Passanten wegen der Verbauung einer Wiener Grünfläche in Streit geraten und hatte mit Vehemenz für die gefährdeten „altn Bam, für die Lungen der Großstadt“, Partei ergriffen.