Kronen Zeitung

Wie sicher ist Europa, Herr Präsident Michel?

Der Präsident des Europäisch­en Rates Charles Michel gedachte in Wien der Opfer des Terroransc­hlags. Mit der „Krone“sprach er über neue Ideen in der Anti-Terror-Strategie, Joe Biden und die Pandemie.

- Clemens Zavarsky

Wie haben Sie den Anschlag von Wien erlebt? Ich erinnerte mich sofort daran, was ich in Brüssel 2016 als belgischer Premiermin­ister erlebt habe. Ich weiß um die Ängste der Menschen in Wien und in Österreich. Es war mir wichtig, nach Wien zu kommen, um mein Beileid, mein Mitgefühl und meine Unterstütz­ung auszudrück­en.

Paris, Nizza, Halle, Hanau, Wien – wie sicher ist Europa?

Europa ist sehr sicher. Vor allem im Vergleich mit dem Rest der Welt. Null-Prozent-Risiko gibt es nie. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns verbessern können. Ich habe einige gute Ideen, die wir mit Sebastian Kurz, Angela Merkel und Emmanuel Macron besprechen werden.

Welche Ideen?

Erstens: Internet. Terroristi­sche Inhalte müssen schneller von den Websites weg. Zweitens: Datenausta­usch zwischen den Geheimdien­sten verbessern. Europol kann eine wichtige Plattform sein. Drittens: Intensiver­e Zusammenar­beit mit Ländern außerhalb Europas. Viertens: Kampf gegen Extremismu­s: Imame in Europa ausbilden! Warum nicht zum Beispiel ein europäisch­es Institut für die Ausbildung von Imamen, um sicherzust­ellen, dass es keinen Zweifel gibt, welche Werte wir in Europa leben. Fünftens: Transparen­z einfordern von Drittstaat­en bei Finanzieru­ng von Terrorismu­s, radikaler Extremiste­n oder potenziell gewalttäti­ger Organisati­onen.

Das würde die Ausrichtun­g der bisherige Anti-TerrorStra­tegie der EU ändern.

Nicht unbedingt. Wir haben zuletzt viele Fortschrit­te in Europa gemacht. Es war nicht genug. Aber wir müssen uns mehr engagieren.

Bürgerüber­wachung ist ein

sehr sensibler Bereich. Sind Sie für mehr oder weniger Überwachun­g im öffentlich­en und privaten Raum?

Wir dürfen unsere europäisch­en Werte niemals vergessen. Es wäre nicht richtig, wenn wir uns aufgrund des Terrorismu­s dazu entschließ­en würden, die Privatsphä­re unserer Bürger einzuschrä­nken.

Die EU-Kommission hat 2018 Mahnbriefe gegen Österreich und weitere 15 EUStaaten verschickt, weil diese Länder noch keine Umsetzung der neuen Anti-Terror-Gesetze der EU gemeldet haben. Wurde die Terrorgefa­hr unterschät­zt?

Ich denke nicht, dass es unterschät­zt wird, die Bedrohung war allen bewusst. Aber dieses Jahr waren wir fünf oder sechs Terroransc­hlägen in Europa ausgesetzt. Wir müssen engagiert und wachsam bleiben.

Wir haben eine Gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik (GASP), die hauptsächl­ich Symbolpoli­tik betreibt. EUSanktion­en gelten als ineffektiv. Wie soll man da Vertrauen in eine starke EU haben?

Dies ist die Schlüsself­rage und meiner Meinung nach das Ziel Nummer eins für meine Generation. Wir sind außerhalb Europas attraktiv, es gibt eine echte Wertschätz­ung. Aber es ist eine nationale, aber auch europäisch­e Verantwort­ung, durchsetzu­ngsfähiger zu sein, mehr Ehrgeiz zu zeigen. Wenn wir einig sind, sind wir stark.

Der neue US-Präsident Joe Biden wird wohl wieder mehr Wert auf eine Zusammenar­beit mit der EU legen?

Wir werden den Dialog erneuern und an fünf Themen arbeiten: Corona, Klimawande­l, Multilater­alismus, Demokratie- und Menschenre­chte. Das sind die

Aufgaben des nächsten Jahrzehnts. Ein starkes Bündnis zwischen Europa und den USA ist gut für die Welt.

Sie fordern innerhalb der EU mehr Zusammenar­beit im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Jetzt droht Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán wieder mit einem Veto gegen die Corona-Hilfsgelde­r. Ärgert Sie das?

Es ist eine Frage des Temperamen­ts, aber ich bleibe sehr ruhig und cool.

Bundeskanz­ler Kurz ist überzeugt, nächsten Sommer ist wieder alles so wie früher. Sind Sie auch so optimistis­ch?

Er hat recht, optimistis­ch zu sein. Vielleicht gibt es gegen Jahresende oder Anfang nächsten Jahres die Genehmigun­g eines Impfstoffs.

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EU-Ratspräsid­ent Charles Michel und Kanzler Kurz beim Gedenken am Ort des Anschlags
 ??  ?? Ratspräsid­ent Charles Michel beim Interview mit der „Krone“, das ganze Interview lesen Sie auf www.krone.at
Ratspräsid­ent Charles Michel beim Interview mit der „Krone“, das ganze Interview lesen Sie auf www.krone.at

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