Was Österreich von Israel lernen kann
Die vielgefürchtete zweite Welle, in Israel ist sie angekommen. Der Berater der israelischen Regierung, Professor Eli Waxman, spricht über den Albtraum Corona, Fehler der Politik und was er Österreich rät.
Israel gilt als Pionier bei der Eindämmung der Corona-Pandemie: Als in Ischgl noch gefeiert wurde, schloss das Land seine Grenzen und reduzierte das öffentliche Leben auf ein Minimum. Infektionen und Todesfälle konnten in engen Grenzen gehalten werden. Ein Telefonat mit Israels Premier Benjamin Netanyahu habe ihn wachgerüttelt, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz, und folgte beim ersten Shutdown der israelischen Strategie mit raschen und strengen Einschränkungen.
Professor Eli Waxman ist Berater der israelischen Regierung. Im „Krone“-Interview erklärt er, wie schwer sein Land (ca. 8,9 Millionen Einwohner) gerade von der zweiten Welle getroffen wird und was das für Österreich bedeutet.
Herr Professor, Israel hat Bars und Fitnessstudios geschlossen und Versammlungen beschränkt. Am Montag folgen weitere Einschränkungen. Was ist da passiert?
Die Zahl der Neuinfektionen hat sich über etwa eine Woche verdoppelt, wir liegen jetzt schon bei 1500 pro Tag.
Und zwar über das ganze Land verteilt, nicht regional beschränkt. Und wir haben nur 10 Prozent der Infektionsquellen identifiziert.
Haben Sie die Kontrolle über Corona verloren?
Ja, das muss man leider so sagen. Im Moment steigen die Zahlen um ungefähr 6 bis 9 Prozent pro Tag, im März waren es 30 Prozent. Wir haben deshalb der Regierung empfohlen, Versammlungen von mehr als 20 Personen einzuschränken. Restaurants werden zwar nicht geschlossen, aber es dürfen nicht mehr als 20 Personen anwesend sein. Das gilt auch für Kinos und beispielsweise Busse.
Als die Pandemie ausgebrochen ist, galt Ihr Land als Vorbild. Wann ist Israel falsch abgebogen?
Der frühe Lockdown hat das Ausbreitungstempo sehr schnell eingedämmt und uns in die Lage versetzt, rasch wieder zur Normalität zurückzukehren. Dabei sind zwei große Fehler passiert. Wir haben empfohlen, die
Einschränkungen in ZweiWochen-Intervallen schrittweise zu lockern, sodass der Effekt jeder Lockerung genau gemessen werden kann. Wir haben außerdem empfohlen, dass jene Aktivitäten, die mit einem höheren Risiko einhergehen wie zum Beispiel die Öffnung der Schulen, als Letztes wieder aufgenommen werden sollten. Die Regierung hat unsere Empfehlungen zwar übernommen, aber in der Praxis wurden sie nicht umgesetzt.
Mit welchen Konsequenzen?
Bei einer Population von ca. 8,9 Millionen muss man die Neuinfektionen auf ein paar Dutzend pro Tag beschränken, das schafft ein sicheres Umfeld für alle und ermöglicht uns, neue Ausbrüche sehr schnell zu unterdrücken. Im Mai hatten wir bereits 10 Neuinfektionen pro Tag, aber die Regierung hat es verabsäumt, eine Behörde zu schaffen, die schnell lokale Ausbrüche eindämmen kann: durch Tests, Kontaktverfolgung und Isolation.
Bei den Neuinfektionen liegen wir jetzt schon bei 1500 pro Tag. Und zwar über das ganze Land verteilt, nicht regional beschränkt.
Die Öffentlichkeit trifft keine Schuld. Die raschen Lockerungen sind ein Versagen der Regierung. Die Menschen haben gedacht: Jetzt ist es vorbei.
Deshalb war Israel nicht in der Lage, diese Ausbrüche zu kontrollieren, die Zahlen sind auf einem Wert, mit dem wir kaum noch fertig werden.
War die Bevölkerung letztlich zu wenig diszipliniert?
Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit eine Schuld trifft. Das ist ein Versagen der Regierung. Es ist ihre Aufgabe, diese Bedingungen zu schaffen. Auch das ZuVerhalten rücknehmen der Einschränkungen war ja keine Entscheidung der Bevölkerung. Die Menschen haben sich an die Vorgaben gehalten. Als die Regierung alles gelockert hat, haben sie gedacht: Jetzt ist es eh vorbei. Aber das ist ein großer Trugschluss.
Ist es nicht frustrierend, dass Ihren Empfehlungen nicht gefolgt wurde?
Ja, das ist es. Denn es war klar, was passieren wird. Natürlich ist es frustrierend mitanzusehen, dass unausweichlich das eintritt, was wir vorausgesagt haben.
Wie werden Sie die zweite Welle überstehen?
Ich nenne es nicht „Welle“, denn eine Welle trifft uns unvorbereitet. Tatsächlich ist es aber unser Verhalten, das den Fortlauf der Pandemie bestimmt. Und ja, dieses
hat zu einem Kontrollverlust geführt.
Österreich hat sich während der Pandemie von Anfang an mit Ihrer Regierung abgestimmt . . . Wie gut ist das Krisenmanagement in Ihren Augen?
Ja, wir waren mit Bernhard Bonelli vom Bundeskanzleramt in engem Kontakt und haben mehrfach besprochen, wie wichtig eine effektive Stelle ist, die eine Infektionskette innerhalb von 48 Stunden unterbinden kann. Es scheint so, als wäre in Österreich dieser Prozess – auch mit der Ampel – vorangeschritten, deshalb bin ich in Bezug auf Ihr Land optimistisch, mache mir aber ein bisschen Sorgen um Israel.
Was werden wir in 20 Jahren unseren Enkelkindern über diese seltsame Zeit erzählen?
Das hängt sehr stark davon ab, was wir heute machen. Es kann besser ausgehen oder schlechter. Ich hoffe, wir können ihnen sagen, dass wir verantwortungsvoll mit uns und unseren Mitmenschen umgegangen sind.
Werden wir uns je wieder umarmen und küssen?
Aber sicher! In ein, spätestens zwei Jahren wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Impfstoff da sein. Das sagen alle Experten. Dann können wir zu unserem normalen Leben zurückkehren. Aber während dieser zwei Jahre müssen wir sehr, sehr vorsichtig sein.
Zwei Jahre sind eigentlich nicht viel in einem ganzen Leben . . .
Das ist zwar richtig, aber für die meisten Menschen sind zwei Jahre doch eine sehr lange Zeit. Aber ich bin optimistisch. Danke für dieses Gespräch, und stay safe!
Eine Welle trifft uns unvorbereitet. Tatsächlich bestimmt unser Verhalten den Fortlauf der Pandemie, und dieses Verhalten hat zu Kontrollverlust geführt.