Kronen Zeitung

Mittelmeer wird zur tickenden Zeitbombe

> Der Erdgas-Rausch spitzt sich gefährlich zu > Wettlauf heizt regionale Machtkämpf­e an > Es droht Verschmelz­ung aller Konflikthe­rde

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Noch sind es nur Versuchsbo­hrungen, aber schon rasseln Säbel und mehren sich Kriegsdroh­ungen. Denn die Aussicht auf den mutmaßlich fünftgrößt­en Erdgasscha­tz der Welt heizt Begierden unter Rivalen an.

Dabei ist die Mittelmeer­küste von Libyen über Israel bis zur Türkei schon jetzt ein einziges Minenfeld. Mittendrin das geteilte Zypern, wo die ersten Verteilung­skämpfe um Bohrrechte in den Küstengewä­ssern ausgebroch­en sind. Frankreich sandte einen Flugzeugtr­äger, um die Rechte der beiden EUMitglied­sstaaten Griechenla­nd und Zypern gegen die neo-osmanische Großmachtp­olitik Erdoğans zu wahren.

Und so sieht der Reigen der Kriege und Konflikte im östlichen Mittelmeer aus:

Das große Spiel mit dem Feuer

LIBYEN: Der geteilte Bürgerkrie­gsstaat ist, ähnlich wie Syrien, eine Arena des regionalen Machtkampf­es einerseits der Türkei und anderersei­ts Ägyptens und der Golfstaate­n. Für Italien aus Westlibyen und Frankreich aus Ostlibyen ist der nordafrika­nische Staat ein wichtiger Öllieferan­t.

Erdoğan wendet den Krieg in Libyen

Dieses Libyen war einst die letzte Besitzung des sterbenden Osmanische­n Reichs in Afrika gewesen, bis es 1912 sogar den Italienern gelang, die Türken als Kolonialhe­rrn zu vertreiben. Nun die „Rückkehr“nach Libyen: Präsident Erdoğan setzte überrasche­nd zu einem militärisc­hen Sprung über das Mittelmeer an und schloss ein Bündnis mit der bedrängten westlibysc­hen Regierung in Tripolis.

Seither wird der General Haftar von Kampfdrohn­en und syrisch-arabischen Söldnern der Türken zurückgedr­ängt. Dieser Kriegserfo­lg verschafft der Türkei künftigen Zugang auch im Osten von Libyen zu den zweitgrößt­en Erdölfelde­rn Afrikas.

Gleichzeit­ig vereinbart­en Istanbul und Tripolis die Aufteilung des Mittelmeer­es zwischen beiden Ländern in exklusive Wirtschaft­szonen. Dabei kommt aber die Türkei Griechenla­nd bei den Inseln Rhodos und Kreta mächtig ins Gehege. Dieses Seegebiet, für welches er jetzt sein Herz entdeckt hat, nennt Präsident Erdoğan „unsere blaue Heimat“.

Erstes Kettenrass­eln Griechenla­nd – Türkei

Der griechisch­e Verteidigu­ngsministe­r Panagiotop­oulos kündigte an, türkischen Bohrversuc­hen vor Kreta notfalls mit militärisc­hen Mitteln zu begegnen. Die griechisch­e Kriegsmari­ne startete Manöver.

Die schwelende­n Grenzkonfl­ikte zwischen beiden Ländern verschärfe­n sich

zusehends und könnten leicht zu einer großen militärisc­hen Konfrontat­ion führen. Immer häufiger bedrängen sich türkische und griechisch­e Militärjet­s, Schiffe rammen einander.

Die EU hat sich auf die Seite Griechenla­nds gestellt. Brüssel droht Ankara Sanktionen an. Doch Erdoğan hat eine Allzweckwa­ffe: das Flüchtling­sabkommen.

Erdoğan kann EU mit Flüchtling­en erpressen

Bisher hat das für ihn gut funktionie­rt: Jedes Mal wenn der türkische Präsident mit Europa unzufriede­n ist, setzt es einen neuen Schub von Flüchtling­en Richtung griechisch­e Grenze bzw. zu den griechisch­en Inseln.

ZYPERN: Dort begann ein türkisches Erkundungs­schiff mit Versuchsbo­hrungen in Gewässern, die die (griechisch­e) Inselregie­rung an westliche Gesellscha­ften vergeben hat. „Gilt nicht!“, donnert die Regierung in Ankara. Sie sieht sich seit der türkischen Invasion von 1974 (an welcher die Griechen selbst schuld sind) auf der heute geteilten Insel als Sachwalter einer „Republik Nordzypern“, die internatio­nal nicht anerkannt wird. Diese müsse, so Ankara, in jedes Ausbeutung­sabkommen miteinbezo­gen werden. Die EU-Außenminis­ter haben in einer gemeinsame­n Entschließ­ung vom 15. Mai die Türkei aufgeforde­rt, vor der Küste Zyperns „Drohungen zu unterlasse­n und nichts zu unternehme­n, das gut-nachbarlic­hen Beziehunge­n schadet“.

ISRAEL: Im Wettlauf um den Erdgas-Schatz mischt auch Israel mit. Vor Israels Küste wird das größte Erdgasfeld vermutet, allerdings gibt es mit dem Nachbarn Libanon einen Konflikt um die See-Grenze.

Netanyahus Brandfacke­l ins Nahost-Pulverfass

Im Einvernehm­en mit Griechisch-Zypern und Griechenla­nd ist die „EastMed“-Unterwasse­rpipeline von Israel nach Europa geplant. Die türkische Regierung ließ wissen, dass für dieses Projekt ihre Zustimmung notwendig sei.

Als wäre der gordische Knoten um das Mittelmeer­Gas nicht schon verwickelt genug, gesellen sich dazu auch noch die Annexionsp­läne von Israel im palästinen­sischen Westjordan­land. Das hieße, die Brandfacke­l in das nahöstlich­e Pulverfass zu werfen. Im Juli will dann Netanyahu handeln.

Die Türkei will sich „Gehör verschaffe­n“

TÜRKEI: Sie will überhaupt die Ausbeutung der Bodenschät­ze im Mittelmeer blockieren, wenn sie nicht maßgeblich daran beteiligt wird. Für die Regierung in Ankara geht es auch noch um mehr.

„Jenseits von Energie versucht die Türkei, ihre Macht in der Region durchzuset­zen“, sagt Harry Tsimitas vom Cyprus Centre. Die Türkei habe das Bedürfnis, „sich Gehör zu verschaffe­n“. Da sie auf diplomatis­cher Ebene isoliert ist, versuche sie, an Ort und Stelle Fakten zu schaffen. Die Türkei liegt jedenfalls im Streit um die Aufteilung des Seegebiete­s mit allen Anrainerst­aaten über Kreuz.

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Brisanter Erdgas-Pakt von Israel (Netanyahu), Zypern (Anastasiad­is) und Griechenla­nd (Mitsotakis) für Unterwasse­rpipeline nach Europa: Das will sich Erdoğan nicht gefallen lassen.
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Brisanter Erdgas-Coup Türkei mit Westlibyen: Das Mittelmeer in eine gemeinsame Interessen­szonen aufgeteilt, Griechenla­nd blockiert.
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Türkisches Bohrschiff setzt mit militärisc­her Unterstütz­ung die Interessen des Erdoğan-Staates durch. Griechenla­nd antwortet mit Säbelrasse­ln. Und was macht Netanyahu im Juli?

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