Das Leben in der virtuellen Welt
„ Hey, ich bin drin, das ist ja einfach!“So warb einst Boris Becker für seinen Internetanbieter. Warum er durch ungewollte Parallelen mit seinem damaligen Privatleben zur Lachnummer wurde, kann man googeln. Google, was? Ist der Umgang mit dem weltweiten N
Ältere Menschen finden sich in der Welt des World Wide Web schlechter zurecht. Sie sind digitale Einwanderer, die eine Internetnutzung lernen müssen. Die jüngeren Ureinwohner des Netzes machen dasselbe von der Volksschule an. Die Zahlen dazu: Weit über 90 Prozent der unter 20- Jährigen nutzen soziale Netzwerke im Internet. Bei den über 60- Jährigen sind es weniger als die Hälfte.
Die technische Handhabung kann man sich aneignen. Doch es geht um die Medienkompetenz, sich online zurechtzufinden. Omas und Opas kennen das, wenn ihre Enkel im Teenageralter im Internet Dinge hundertmal schneller finden und erledigen. Die gemeinsame Herausforderung ist zu beurteilen, was im Internet wahr oder unwahr ist. Nicht umsonst wurde der Begriff „ Fake News“erfunden. Im Netz wird Tag für Tag der größtmögliche Unsinn verbreitet. Vom angeblich neuesten Wundermittel gegen Krebs bis zum Auftreten des 129 Jahre alten Adolf Hitler in Südamerika gibt es Millionen, die jeden Quatsch glauben.
Österreichische Beispiele wie eine Sudelkampagne im Präsidentschaftswahlkampf 2016 – es wurde das Gerücht gestreut, der bis heute quicklebendige Alexander Van der Bellen sei todkrank – sind zum Glück seltener. Trotzdem gibt es jede Menge politische Gruppen von ganz rechts bis links außen, die gezielt Falschmeldungen verbreiten oder unerwünschte Fakten als falsch bezeichnen. Immerhin zeigen – so die Studie Digitalmonitor des Instituts für Strategieanalysen ( ISA) 2017 – drei Viertel der Österreicher Problembewusstsein und meinen, dass das Erkennen von Fake News schwierig sei. Tragikomisch ist, dass viel weniger Leute sich als gefährdet ansehen. Viele Internetnutzer glauben, dass sie selbst alles besser wissen und bloß ihren Mitmenschen etwas vorgelogen werden kann. Der Generationenkonflikt führt freilich dazu, dass die Kommunikation der Alten und Jungen voneinander abweicht wie „ Bundesland heute“und Snapchat. Die erstgenannte Fernsehsendung um 19 Uhr ist fast jeden Tag das meistgesehene Programm des ORF. Die dortigen Zuschauer haben bis zu sieben Jahrzehnte (!) mehr auf dem Buckel als jene, die mittels „ Snap“online sind.
Was immer man auf Snapchat tippt, verschwindet im Regelfall nach kürzester Zeit wieder. Früher war das geschriebene Wort ein Dokument, hier ist alles sofort unwiederbringlich weg. Nichts könnte mehr veranschaulichen, wie gigantisch der Kulturbruch durch sogenannte soziale Medien ist.
Romeo könnte an Julia schreiben, wie sehr er sie liebt. Von ewiger Liebe wäre insofern keine Spur, denn Sekunden später ist ja kein Buchstabe mehr zu sehen. Als hätte es die Liebeserklärung nie gegeben. Genauso kann jeder Politiker sicher sein, dass leere Snap- Wahlversprechen nach kürzester Zeit nicht mehr nachweisbar sind. Umgekehrt hinterlassen wir Spuren im Netz, die riesige Datenschutzprobleme aufwerfen. Von politischen Vorlieben über das Einkaufsverhalten bis zu Krankheiten wird nahezu alles erfasst. Im jugendlichen Leichtsinn verteilte Wortmeldungen oder Fotos können Jahre später privat und beruflich zum Verhängnis werden.
Zugleich denken manche, vor dem Bildschirm ist alles erlaubt, weil einem niemand über die Schulter schaut. Die Folge sind Beschimpfungen, für die in echten Gesprächen eine Hemmschwelle besteht. Einerseits ziehen frustrierte oder organisierte „ Trolle“mit erfundenen Namen über alles und jeden her. Andererseits werden Typen mit ihrem Klarnamen im Internet ausfällig, obwohl sie bei Gesichtskontakt ihre Meinung zivilisiert ausdrücken. Meinungsvielfalt ist schön, wenn im Internet sachlich diskutiert würde. Doch zeigt sich leider, dass die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft keine Erfindung ist. Auf Facebook und Twitter heißen Menschen, die meine Nachrichten lesen, „ Friends“und „ Follower“. Auf Deutsch Freunde und Gefolgsleute. Sind der Rest lauter Feinde und Abtrünnige? Wenn man liest, wie Verbündete sich gegenseitig kritiklos zustimmen und Außenstehende übel beflegeln, sieht das so aus.
Fast 70 Prozent der Österreicher haben auf Facebook oder in anderen Foren Postings voller Hass bereits persönlich erlebt. Traurigerweise geben unter 10 Prozent an zu wissen, was man am besten dagegen tut. Ignorieren ist eine Möglichkeit, doch das schreckt die Hassenden nicht ab. Da hilft nur tägliches Bemühen um Sachlichkeit. Real und virtuell.