Mitten unter den Menschen
Ich freue mich auf die Fronleichnamsprozession. Den „ großen Umgang“durch den 1. Bezirk in Wien folgen viele Menschen. Gute zwei Stunden werden wir unterwegs sein. Während der lange Zug sich durch die Straßen bewegt, begleitet von Gesang und Gebet, geht mein Blick immer wieder auf die kleine weiße Scheibe in der Monstranz, die ich trage. Kein Zweifel, die Hostie ist der Mittelpunkt des ganzen Geschehens. Alles dreht sich um dieses kleine Stück Brot. Was bewegt mich und die vielen Menschen, die die Prozession bilden, eine kleine weiße Brotscheibe mit so viel Feierlichkeit zu umgeben?
Die Antwort ist einfach und zugleich ganz geheimnisvoll: Es geht nicht um etwas, sondern um jemanden. Wir verehren nicht ein Stück Brot, sondern den Leib Christi. Das Wort Fronleichnam ist zusammengesetzt aus dem mittelhochdeutschen Wort „ vron“, das „ Herr“bedeutet, und „ lichnam“, das nicht unseren Sinn von „ Leichnam“, toter menschlicher Leib, hat, sondern, im Gegenteil, „ lebendiger Leib“bedeutet. Wir feiern den lebendigen Leib des Herrn. Und wir glauben, dass diese Oblate, diese weiße Brot- Hostie, durch die Wandlung wirklich zum lebendigen Leib Jesu geworden ist. Ich sehe nicht, dass Jesus wirklich da ist, aber im Glauben weiß ich, dass es so ist. Nur so hat die Fronleichnamsprozession einen Sinn. Sonst wäre sie ein seltsames und eigentlich sinnloses Spektakel.
Und so geht mein Blick immer wieder auf das kleine weiße Brot, und ich bitte Jesus, all die vielen Menschen zu segnen, die da auf den Straßen und Plätzen die Prozession erleben. An den drei Stationen des Um- gangs darf ich mit der Monstranz den Segen geben. Da werden zuerst die Felder und Wälder gesegnet, die Gärten und die Früchte der Erde. Wie nötig ist dieser Segen in Zeiten des Klimawandels! Da wird unser Land gesegnet, und alle Menschen, die hier leben, gleich welcher Herkunft und Religion, weil alle Kinder Gottes sind. Den Segen erbitte ich besonders für die Leidenden und die Kranken und für die Sterbenden. Denn die Prozes- sion erinnert uns daran, dass das Leben ein Weg, eine Pilgerschaft auf ein letztes Ziel hin ist. Besonders bewegt mich der Segen für die Länder der Erde, die unter Krieg und Katastrophen leiden. Ihnen erbitten wir Frieden und Hilfe.
Ich freue mich jedes Jahr auf Fronleichnam. Für mich ist die Prozession ein starkes Zeichen, ein Ausdruck dafür, dass Gott bei uns Menschen angekommen ist. Er ist wirklich mitten unter uns.