Stammplatz
Der Pensionist Franz G., der seit vielen Jahren Stammgast in einem kleinen Kaffeehaus auf der Wieden ist, musste kürzlich beim Betreten des Lokals feststellen, dass ein Fremder auf seinem gewohnten, wärmenden Platzerl saß.
Herr G. umkreiste den Fremden einige Male, räusperte sich vernehmlich, und als der andere nicht reagierte, sagte er:
„ San S net bös, lieber Herr, aber da, wo Se sitzn, is mei Stammplatzerl! Gehn S, san S net bös!“
„ I bin Ihna net bös“, antwortete der andere. „ I bin Ihna wirklich net bös. Aber jetzt sitz i da.“
„ Könnten S Ihna net zum Nebentisch setzn!“, ersuchte Herr G. „ Schaun S, i hab a Leberleidn und a angegriffene Niere. I brauch die Ofnwärme!“
„ I aa“, antwortete der Fremde. „ Deswegen hab i mi ja da hergsetzt. Gebn S die Raunzerei auf, weil i steh net auf. I les jetzt die Zeitungen fertig, und dann mach i no a Kreuzworträtsel. Vur siebene können S mit dem Platz net rechna. Aber an Gfalln könnten S mir tuan: Sagn S bitte in Ober, dass er no a bisserl nachlegt. Es is zwar jetzt noch sehr schön warm da, aber bei de Füaß könnt is no a bisserl haßer vertragn.“
Der Kellner sagte als Zeuge: „ Es war furchtbar mit de zwa. Wia zwa Irre in der Anstalt. Der Herr Franz hat se an Sessl gholt und hat se zu den fremdn Gast ganz zuwepickt, damit der auf d Seitn ruckt. Der Herr hat aber ka Fingerbradn von sein Platz aufgebn und hat mitn Ellbogn anständig zurückgsteßn. Knurrt habn s alle zwa wia de Flei- scherhund. I hab scho gwusst, da kummt was auße.
Dann hat se der Herr Franz mit sein Sessl direkt vurn Ofn hingsetzt, damit er dem Herrn de Wärme ohspirrt. Sein Schwarzn hat er se aufn Schoß gnumma.
Des hat se der andere net gfalln lassn. Er hat in Herrn Franz mitsamtn Sessl aufghobn und hat eahm in de andere Eckn vom Lokal tragn. Dadurch hat se der Herr Franz sein Kaffee auf de Knia gschütt.
Bevurs rafert wordn san, bin i eingschrittn. Dadurch is net vül passiert. Der Herr Franz hat beim Gestikuliern an Manschettnknopf verlurn, den suacht er heit no bei uns.“
Der „ Fremde“, Herr Ulrich T., erklärte sich zum Ersatz eines Paares Manschettenknöpfe und zur Übernahme der Reinigungskosten für die Hose bereit. Franz G., wieder glücklicher Alleinherrscher auf seinem Stammplatz, stimmte dem Vergleich schließlich zu.