Statt Weisheit regiert Verzweiflung
Volkstheater: Lessings „ Nathan der Weise“in Nikolaus Habjans Inszenierung
Ein großes Werk: Gotthold Ephraim Lessings „ Nathan der Weise“, entstanden zwei Jahre vor seinem Tod, erzählt von großen Religionen und Vorurteilen, Toleranz und Verbissenheit. Und wird gerade in unruhigen Zeiten gern von Theatern auf den Spielplan gesetzt. Im Volkstheater erlebte man nun eine „ Nathan“- Premiere.
Im Ganzen: weniger weise als dunkel! Am Anfang ist wieder einmal der Koffer . . . Dieses offenbar unentbehrliche Inszenierungsrequisit schleppt Nathan, gequält und düster, mit sich. Denn die Welt, die ihn umgibt, ist eine schwarze, gefährliche. Verfolgung und Tod lauern, und nicht nur in Gestalt des Patriarchen.
Für Regisseur Nikolaus Habjan ist Nathan ein Einsamer, der am Ende als einziger überlebt: Statt der – von Lessing intendierten – finalen Harmonie und Utopie der friedlichen Verständigung gibt’s zuletzt nur Tote. Immerhin: ein griffiges Theaterbild!
Nathan ist eine zerrissene, nervös fahrige Figur: schlaksig und unruhig, selten überlegen. Und bei Habjan ist nicht Weisheit seine erste Eigenschaft, sondern Verzweiflung. Im Grunde entwirft Habjan aber das, was gemeinhin als klassische Inszenierung durchgehen kann: Zeitlos, wie Lessings Drama, entwickelt sich das Spiel, ringen die Kräfte miteinander. Wo es gelingt, den Menschen hinter der Literaturfigur plastisch werden zu lassen, überzeugt und interessiert der Abend. Dort, wo Theaterspielereien durchscheinen, verliert er etwas.
Dass zur Unterstützung atmosphärische Musik zu hören ist, lässt manches filmisch erscheinen, nimmt aber Theaterkraft und treibt an die Oberfläche. Dass mitunter Puppen – etwa für die Gestalt des Patriarchen – eingesetzt werden, bleibt ziemlich unauffällig: Für einen inneren Dialog braucht es kein reales Gegenüber.
Günter Franzmeier überzeugt – ja, beeindruckt – in seiner Verlorenheit und durch sein flackerndes Licht, durch sein Ringen. Steffi Krautz zeigt eine Sittah mit Profil, Christoph Rothenbuchner einen glaubhaft innerlich zerrissenen Tempelherrn. Im zweiten Teil etwas kraftloser, mit weniger Sogkraft, ist die Gesamtproduktion doch ein sauber gearbeiteter, überzeugender Abend. Und nun bereits mit englischen und arabischen Übertiteln!