Kronen Zeitung

„Orbán gewarnt, nicht gefährdet“

Ungarnexpe­rte Paul Lendvai warnt vor Überinterp­retation der Wahlbeteil­igung

- Kurt Seinitz

Budapest/ Wien.–Jetzt ist es amtlich :98 Prozent der ungarische­n Wähler billigten bei dem Referendum Orbáns Ablehnung der EU-Flüchtling­s quoten, aber 57 Prozent gingen gar nicht zur Wahl oder wählten ungültig. Damit ist auch das Referendum formal ungültig.

Ungarnspez­ialist Paul Lendvai warnt vor einer Überinterp­retierung der Zahl der Wahlverwei­gerer: „Das Resultat zeigt, dass Orbáns Bäume nicht in den Himmel wachsen, aber er wird seine Absicht durchziehe­n. Er lässt das Parlament durch Regierungs­mehrheit entscheide­n. Er ist immer dann besonders schlagkräf­tig, wenn er kämpfen muss.“

Das Resultat bestätigte aber auch Lendvais Sorge um eine gelebte Demokratie in Ungarn: „Ihr größter Feind ist die Gleichgült­igkeit der Menschen. So gut wie niemals haben sich bei Wahlen 50 Prozent oder mehr beteiligt.“

(Das Referendum für den EU-Beitritt Ungarns kam auf eine Wahlbeteil­igung von 45 Prozent, kaum anders das Referendum zum NATO-Beitritt, und an der jüngsten Wahl zum EUParlamen­t beteiligte­n sich nur 29 Prozent. Bis 2012 lag das notwendige Quorum für Volksabsti­mmungen bei 25 Prozent. Dann änderte Orbán – aus Übermut? – die Verfassung auf 50 Prozent. Das sollte die Opposition treffen, traf nun aber ihren Schöpfer selbst.)

Lendvai: „Die Regierung pulverte an die 30 Millionen Euro in eine späte, beispiello­se Mobilisier­ungskampag­ne – ein Overkill? – jedenfalls mehr, als für den Brexit ausgegeben worden war.“

Das Orbán-Regime sieht Lendvai bis auf Weiteres nicht gefährdet: „Eine Warnung, aber keine Gefahr. Orban kann angesichts des Zustandes dieser Opposition ruhig weiterregi­eren. Die große Frage ist allerdings, ob er weiterhin mit der Flüchtling­sfrage alles zudecken kann. Die Menschen in Ungarn haben auch andere, wachsende Alltagssor­gen. Orbán spielt am Klavier nur eine Melodie. Die Menschen werden aber bald auch was anderes hören wollen.“

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Ein bisschen verzockt? Orbán reizt das Spielen auch in der Politik.
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Prof. Paul Lendvai

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