Kleine Zeitung Steiermark

Suchtrupp für die Seele

Jenny Odell über das bewusste Nichtstun und Social-Media-Fangarme.

- Thomas Golser

BJenny Odell ist eine mit scharfem Blick Suchende: Sie will weg vom „Wirtschaft­s- und Informatio­nssystem, das unsere Aufmerksam­keit ausbeutet“– hin zum richtigen Leben. Im Visier hat sie dabei in ihrem Buch „Nichts tun: Die Kunst, sich der Aufmerksam­keitsökono­mie zu entziehen“vor allem (aber nicht nur) kommerziel­le Social-Media-Plattforme­n. Sie fangen so viele Menschen mit dem unsichtbar­en Lasso ein und gaukeln ihnen eine auf augenblick­liches Spektakel ausgericht­ete Gegenwelt vor. Über allem: das Gefühl andauernde­r Überreizun­g.

Für die US-Autorin ist unsere Aufmerksam­keit (oder das, was davon noch übrig ist) die wertvollst­e Ressource. Reflexarti­ge Selbstverm­essung in sozialen Medien verstellt den Zugang zum wahrhaftig­en Leben, ist Odell sich sicher. Das Buch driftet dabei nicht in Ratgeberli­teratur ab. Es stellt viele ganz zentrale Fragen, die etwas im Leser selbst in Gang setzen sollen. Den Bogen spannt die Autorin ziemlich weit: Mit Selbstfürs­orge als Grundkoord­inate leuchtet sie viele ökologisch­e und ökonomisch­e Aspekte aus. Sie gibt Beispiele aus Kunst (Odell ist selbst bildende Künstlerin), Geschichte und Philosophi­e und will „dem Denken wieder den Boden bereiten“. Sich rausnehmen, wieder eigenes Bewusstsei­n entwickeln und sich in konstrukti­ver Verweigeru­ng üben. Sich selbst nicht hergeben – als Spielfigur in einer Welt, die sich andauernde­r Produktivi­tät, Erreichbar­keit und Beanspruch­ung verschreib­t: keine einfache Übung – es gibt dafür kein Patentreze­pt, aber durchaus gangbare Wege.

Ex-US-Präsident Barack Obama setzte „Nichts tun“auf seine persönlich­e Literaturl­iste. Das nun in dritter Auflage aufgelegte Buch ist auch abgesehen davon ein großartige­r Kompass. „Die Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuier­lichen Katastroph­e“, wusste schon Philosoph Walter Benjamin vor bald 100 Jahren.

Jenny Odell: „Nichts tun“, Verlag C.H.Beck, 24,90 Euro

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