Suchtrupp für die Seele
Jenny Odell über das bewusste Nichtstun und Social-Media-Fangarme.
BJenny Odell ist eine mit scharfem Blick Suchende: Sie will weg vom „Wirtschafts- und Informationssystem, das unsere Aufmerksamkeit ausbeutet“– hin zum richtigen Leben. Im Visier hat sie dabei in ihrem Buch „Nichts tun: Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen“vor allem (aber nicht nur) kommerzielle Social-Media-Plattformen. Sie fangen so viele Menschen mit dem unsichtbaren Lasso ein und gaukeln ihnen eine auf augenblickliches Spektakel ausgerichtete Gegenwelt vor. Über allem: das Gefühl andauernder Überreizung.
Für die US-Autorin ist unsere Aufmerksamkeit (oder das, was davon noch übrig ist) die wertvollste Ressource. Reflexartige Selbstvermessung in sozialen Medien verstellt den Zugang zum wahrhaftigen Leben, ist Odell sich sicher. Das Buch driftet dabei nicht in Ratgeberliteratur ab. Es stellt viele ganz zentrale Fragen, die etwas im Leser selbst in Gang setzen sollen. Den Bogen spannt die Autorin ziemlich weit: Mit Selbstfürsorge als Grundkoordinate leuchtet sie viele ökologische und ökonomische Aspekte aus. Sie gibt Beispiele aus Kunst (Odell ist selbst bildende Künstlerin), Geschichte und Philosophie und will „dem Denken wieder den Boden bereiten“. Sich rausnehmen, wieder eigenes Bewusstsein entwickeln und sich in konstruktiver Verweigerung üben. Sich selbst nicht hergeben – als Spielfigur in einer Welt, die sich andauernder Produktivität, Erreichbarkeit und Beanspruchung verschreibt: keine einfache Übung – es gibt dafür kein Patentrezept, aber durchaus gangbare Wege.
Ex-US-Präsident Barack Obama setzte „Nichts tun“auf seine persönliche Literaturliste. Das nun in dritter Auflage aufgelegte Buch ist auch abgesehen davon ein großartiger Kompass. „Die Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe“, wusste schon Philosoph Walter Benjamin vor bald 100 Jahren.
Jenny Odell: „Nichts tun“, Verlag C.H.Beck, 24,90 Euro