Eine Schriftstellerin treibt die Regierung vor sich her
Fang Fangs Wuhan-tagebuch ist ein Dokument der Zivlicourage in einer Diktatur.
In Wuhan fing es an. Hier sprang das Coronavirus von Tieren auf Menschen über. Dass es von Mensch zu Mensch weitergegeben werden konnte, leugneten die zuständigen Stellen und Medien zunächst. Es galt, zwei wichtige Parteikonferenzen ohne öffentliche Aufregung oder Ablenkung über die Runden zu bringen. Die Folgen sind bekannt. Das Virus breitete sich ungehindert aus. Als die ersten Maßnahmen zu greifen begannen, war es zu spät, den Kollaps des Gesundheitssystems der Millionenstadt zu verhindern. Wuhan wurde abgeriegelt, 76 Tage lang durfte niemand hinein oder hinaus.
Fang Fang, eine angesehene Schriftstellerin, saß in ihrer Heimatstadt fest. Tag für Tag schrieb sie auf, was geschah, was sie erlebte und was ihr fachkundige Ärzte erzählten. Millionen folgten ihrem Blog, sofern die Zensur die Einträge nicht rechtzeitig löschte. Fast jeden Tag erinnerte sie die Regierung an ihre Verantwortung für das Debakel und forderte Rücktritte. iele Schichten legen die 60 Eintragungen Fang Fangs offen. Sie erzählen von der klaustrophobischen Situation der Eingeschlossenen, von Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen. Sie schildern den zähen Widerstand Fang Fangs und ihrer Freunde gegen die staatliche Zensur, schildern Umgehungsmethoden und subversive Wege, die Kritik an der Führung öffentlich zu machen. Und sie zeigen anschaulich, was passiert, wenn aus fadenscheinigen Gründen dieses Virus nicht mit aller Vehemenz an seiner Ausbreitung gehindert wird. Diese Mischung aus anschaulichem Erlebnisbericht und Einblick in die Lebenswirklichkeit der Bevölkerung eines autoritär regierten Landes erklärt die weltweite Verbreitung des Buchs.
Die Heftigkeit der Vorwürfe Fang Fangs erinnert manchmal an Diskussionen in unseren Breiten. Der wesentliche Unterschied ist die Stoßrichtung. Fang Fang empört sich nicht über die Maßnahmen ihrer Regierung, sondern über deren viel zu späte Verhängung. Sie klagt um Tote, nicht um die Einschränkung ihrer Freiheit durch die Maskenpflicht. Ein wichtiger Beitrag zur überhitzten Debatte bei uns.
Wuhan Diary – Tagebuch aus einer gesperrten Stadt. Hoffmann und Campe 2020, 25,70 Euro.
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