Kleine Zeitung Steiermark

Rumäniens Unerschroc­kene

- Von Ulrike Greiner, Bukarest

Zum Interview in einem Lokal in der Bukarester Innenstadt kommt er mit dem Fahrrad. Es bedarf schon eines gewissen Mutes und einer Risikobere­itschaft, sich mit dem Drahtesel ins Zentrum der rumänische­n Hauptstadt zu stürzen, die von Autos überflutet ist, in welcher der dichte Verkehr manchmal dem Prinzip des Stärkeren mehr verpflicht­et ist als strengen Regeln.

Aber Mut und Risikobere­itschaft haben Radu Filipescu, geboren am 26. Dezember 1955 in Târgu Mure¸s, schon immer begleitet. Auch an jenem 7. Mai 1983, als sich der junge Mann mit dem Bus zum Bulevardul 1 Mai im Herzen von Bukarest aufmachte, in seiner Tasche rund tausend Flugblätte­r, die er dann in die Briefkäste­n riesiger Wohnblocks warf. Es war nicht der erste öffentlich­e Auftritt des Studenten Filipescu als Dissident, der sich gegen das Regime des Diktators Nicolae Ce

und dessen Frau Elena stellte. Auf den Zetteln, die er im Keller seiner Eltern gedruckt und die er bereits Tage vorher in Umlauf gebracht hatte, stand ein Aufruf zu einem Protestmar­sch – der dann nie stattfand. Aber Filipescu war ins Visier der Securitate geraten, des brutalen rumänische­n Geheimdien­stes. „Wir waren eine Gruppe von Dissidente­n, unzufriede­n mit der wirtschaft­lichen Situation des Landes. Wir wollten die Herrschaft Ceau¸sescus nicht mehr hinnehmen.“

Radu Filipescu wurde unter Ceau¸s escu zum Revolution­är und landete in Haft. Er überlebte, dennoch verspürte er 1989 keine Genugtuung.

Es war gefährlich. Das wussten Filipescu und seine Freunde. „An der Universitä­t machten damals alle Witze über das Regime, Ausdruck einer generellen Unzufriede­nheit“, erinnert er sich. Filipescu wollte handeln. Auch an jenem 7. Mai, an dem er dann prompt verhaftet wurde – zum ersten, aber nicht zum letzten Mal. „Ich kam in ein Gefängnis in Transsilva­nien. Dort saß ich mit fünf anderen politische­n Gefangenen in einer Zelle. Sechs Betten auf kleinstem Raum, ein Tisch, die Toilette in einer Ecke, schlechtes Essen, im Winter wurde nicht geheizt.“Filipescus Vater, ein prominente­r Mediziner, versuchte, dem Sohn zu helfen, kontaktier­te unter anderem Amnesty Internatio­nal. Nach drei Jahren kam Filipescu schließlic­h frei – zu zehn Jahren Haft war er ursprüngli­ch verurteilt worden. Danach wurde er Tag und Nacht überwacht. „Die Securitate folgte mir sogar beim Joggen“, sagt er heute lachend. Einschücht­ern ließ er sich nicht. Er rief weiter auf Flugblätte­rn zum Widerstand auf. 1987 wurde er erneut verhaftet, gefoltert und misshandel­t. Das diplomatis­che Ausland intervenie­rte. Mit Erfolg. Nach zehn Tagen befand er sich wieder auf freiem Fuß – und machte weiter.

Schließlic­h der Dezember 1989. „Von den Unruhen in Teau¸sescus

mesvar erfuhr ich über das Radio. Ich war gerade in einer Fabrik in Bukarest, wo ich arbeitete, um etwas Geld zu verdienen. Sofort machte ich mich auf in die Innenstadt. Nur ein paar Demonstrat­ionen gab es da und überall waren Soldaten. Schließlic­h begann jemand in der Menge zu rufen. Es waren Rufe gegen Ceau¸sescu. Daraus entstand ein riesiger Chor. Ich war glücklich. Es war einer der ganz großen emotionale­n Momente in meinem Leben.“

Ein letztes Aufbäumen des Regimes und seines Führers.

Noch einmal warf Ceau¸sescu alle Macht in die Waagschale und ließ aufs Volk schießen. Doch seine Zeit war vorbei. Filipescu wurde am Morgen des 22. Dezember noch einmal für ein paar Stunden verhaftet. Die Hinrichtun­g von Nicolae und Elena Ceau¸sescu erlebte er mit Eltern und Geschwiste­rn daheim vor dem Fernsehen. Genugtuung verspürte er nicht. „Man hätte letzten Endes keine andere Lösung gefunden, es gab keine Option. Das war das Gefühl, das ich bei der Erschießun­g empfunden habe.“

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GREINER Ceaus¸ escu regierte Rumänien ab 1965 mit eiserner Hand. Er wurde am 25. Dezember hingericht­et. Radu Filipescu in Bukarest
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