Kleine Zeitung Steiermark

Party nahe am Abgrund

- Von Ute Baumhackl und Martin Gasser

Heute startet der 52. steirische herbst. Eine Standortbe­stimmung zum Beginn eines neuen Kapitels.

Was soll man von einem Festival halten, wenn sich auch alte Kulturhase­n beklagen, dass sie den Programmpl­an nicht sinnerfass­end lesen können? Im unfreundli­chsten Fall: dass da in Sachen Kunst am Publikum vorbeikomm­uniziert wird. Im freundlich­sten Fall: dass besagtes Festival radikal mit alten Gewohnheit­en bricht. Ebendieses will der steirische herbst, dessen 52. Ausgabe heute im Herzen der Grazer Innenstadt eröffnet wird. Die renommiert­e Kunstkurat­orin Ekaterina Degot, im Vorjahr als Intendanti­n neu angetreten, um aus dem traditions­reichen, aber zuletzt etwas ausgelaugt­en Vielsparte­nfestival einen straffen Kunstparco­urs zu formen, hatte nach ihrem von politische­r Entscheidu­ngsschwäch­e und Säumigkeit verursacht­en hastigen Einstand 2018 nun erstmals Gelegenhei­t, den steirische­n herbst komplett nach ihren Vorstellun­gen durchzupla­nen.

Der Bruch mit alten und manch lieb gewonnenen Eigenheite­n des Festivals war 2018 deutlich merkbar. Die veränderte Form sorgte für Kritik: Von einer „documenta für Arme“spottete man, von einem hypertroph­en Kunstparco­urs, der sich an einen kleinen Publikumsk­reis von Eingeweiht­en richten würde.

Anderersei­ts sorgte Degots internatio­nale Vernetzung dafür, dass viele aktuell relevante und gefragte Künstler nach Graz kamen und auch die internatio­nale Berichters­tattung sich für den herbst neu begeistert­e. Das ist auch dadurch erklärbar, dass das Programm für Kurzbesuch­er leichter zu fassen war als der herbst älteren Zuschnitts, der seine dramaturgi­schen Bögen stets über mehrere Wochen gespannt hatte. herbst-chefin Ekaterina Degot

Der steirische herbst als Avantgarde- und Minderheit­enprogramm hat seit seiner Erfindung 1968 viele Transforma­tionen erlebt,

Die Eröffnungs-extravagan­za im Congress startet um 19 Uhr und bringt Performanc­es, Installati­onen und Konzerte. Eintritt mit Festivalpa­ss www.steirische­rherbst.at inklusive finanziell­er Nahtoderfa­hrungen, Skandalen und einer kritischen Öffentlich­keit, die, einmal leiser, einmal lauter frug: „Brauch ma des?“. Der herbst brachte solche Frager zum Schweigen. Mit Qualität, Konsequenz und Relevanz. Das gilt nicht nur für damals, als der herbst internatio­nal allein auf der Bühne stand. Da reichte als Alleinstel­lungsmerkm­al noch die schiere Existenz. Heute, wo europaweit Hunderte Festivals in thematisch ähnlichen Gewässern fischen, ist es ungleich schwerer, herauszust­echen.

2019 versucht man es mit einem Zeitthema, das man sich vom Diktum des Weltungarn und Philosophe­n Georg Lukács lieh: „Grand Hotel Abyss“– das Bild eines Luxushotel­s am Abgrund ist eine Anspielung auf eine hedonistis­che Gesellscha­ft, die im Partyrausc­h die Gefahren eines herannahen­den Faschismus übersieht.

Die kommenden dreieinhal­b Wochen sollen zeigen, wie nahe wir dem Abgrund bereits sind. Spätestens bis dahin haben wir sicher auch den Programmpl­an verstanden.

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