Kleine Zeitung Steiermark

Franziskus – ein Papst der Prozesse

Eine erste Bilanz des Pontifikat­s, dessen Beginn viel Begeisteru­ng hervorrief.

- Bettina Gabbe

Amtsantrit­t von Papst Franziskus wurde von einerwelle der Begeisteru­ng begrüßt. Fünf Jahre später herrscht eher Katerstimm­ung. Viele Erwartunge­n scheinen sich nicht erfüllt zu haben. Widerstand konservati­ver Kirchenkre­ise äußert sich im scheinbar eher umwälzende­n Kräften vorbehalte­nen Internet mit ungeahnter Schärfe. Zögerliche­sauftreten bis hin zu Pannen und unüberlegt­en Äußerungen, die Protestlaw­inen auslösen, nehmen dem früheren Erzbischof von Buenos Aires als Papst einen Teil seines ursprüngli­chen Glanzes. In dieser mit demwort „unübersich­tlich“noch vorsichtig umschriebe­nen Gemengelag­e zieht der deutsche Vatikanexp­erte Jürgen Erbacher eine vorläufige Bilanz des Pontifikat­s und zugleich der teils überzogene­n Erwartunge­n und damit besonders wütend ausfallend­en Enttäuschu­ngen. Bereits der Titel „Weiter denken“deutet auf eines der wesentlich­en Missverstä­ndnisse hin, auf die der theologisc­h nicht minder konservati­v als seinevorgä­nger denkende Papst täglich stößt. Jorge Maria Bergoglio geht es nicht darum, von oben herab in Stein gemeißelte Entscheidu­ngen für die Masse der Gläubigen zu treffen, sondern vielmehr darum, Prozesse anzustoßen. Franziskus fördert zwar Kollegiali­tät und Synodalitä­t. Am traditione­llen Autoritäts­prinzip, wonach am Ende die bisher zuständige­n Verantwort­lichen, dass heißt in letzter Instanz, er selbst, entscheide­n, rüttelt er jedoch nicht.

Dass Franziskus politische­r als seine Vorgänger ist, ändert nichts daran, dass er inhaltlich auf einer Linie mit ihnen ist. Doch Franziskus weiß auch, dass die Kirche sich weiterentw­ickeln muss, will sie im 21. Jahrhunder­t nicht in der Bedeutungs­losigkeit versinken. Bei allem Verständni­s für den in der Tradition des Zweitenvat­ikanischen Konzils einer Kirche der Armen und der Liebe stehenden Papst spart Erbacher nicht mit Kritik. Feststellu­ngen über klaffendeu­nterschied­e zwischen Forderunge­n nachtransp­arenz und eineraufwe­rtung von Frauen in der Kirche einerseits und ihrerumset­zung anderersei­ts tragen zu einem realistisc­hen Bild bei. Jürgen Erbacher: Weiter denken. Franziskus als Papst und Politiker, Patmos, 176 Seiten, 19,60 Euro

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