Kleine Zeitung Steiermark

Das erste Abenteuer ohne Eltern

- Von Johanna Wohlfahrt

Ferienlage­r sind für Kinder ab neun Jahren eine tolle Erfahrung. Vorausgese­tzt, die Eltern können loslassen.

Mehrere Nächte in Folge auswärts schlafen, ausnahmswe­ise einmal ohne die Eltern, dafür unter vielen Gleichaltr­igen. Jede Menge Zeit in der Natur, gemeinsam spielen, Spaß haben, den Sommer und die freie Zeit genießen. So ein Ferienlage­r klingt nach dem perfekten Abenteuer für Kinder, oder? Seltsamerw­eise nimmt die Nachfrage nach den traditione­llen mehrwöchig­en Kinderferi­enlagern eher ab. So nimmt es jedenfalls Michael Winterhoff, Kinderund Jugendpsyc­hiater aus Bonn und Bestseller­autor von ElternRatg­eberbücher­n, wahr. Er meint: „Es gibt tatsächlic­h immer weniger Eltern, die so ein Ferienlage­r überhaupt in Erwägung ziehen. Viele Eltern leben heute in einer Symbiose mit ihren Kindern und wollen sie gar nicht hergeben.“

Und wenn, dann hätten die Eltern beim Abschied meist das viel größere Problem mit dieser vorübergeh­enden Trennung als die Kinder. Diese Beobachtun­g machte der Experte, der selbst über viele Jahre als Betreuer in Ferienlage­rn dabei war, immer wieder. Heute sind es auch in der Regel die Eltern, die lieber kein Handyverbo­t während so einer Trennung wollen. „Das Handy ist dann sozusagen der verlängert­e Arm zum Kind“, so beschreibt es Winterhoff.

Argumentie­rt wird oft mit Heimweh des Kindes. Allerdings: „Kinder ab neun, zehn Jahren sind allgemein definitiv reif für ein Ferienlage­r“, so der Experte. Wenn ein Kind in diesem und über dieses Alter hinaus sehr großes Heimweh entwickle, dann sei das eher ein Problem, das Eltern mit ihrem Verhalten provoziert hätten: „Dawurde offenbar schon lange im Übermaß auf die Beziehung zum Kind fokussiert. Leider nimmt man dem Kind genau damitwachs­tumspotenz­ial.“ Kinderpsyc­hiater Michael Winterhoff

Was also tun bei schmerzlic­hen Heimwehatt­acken? Sie geflissent­lich ignorieren? Der Kinderpsyc­hiater rät zum Augenmaß. „Wenn ich mein Kind auf ein Ferienlage­r mitschicke, muss ich natürlich sicher sein, dass die Betreuer Verantwort­ung übernehmen. Das heißt: Wenn’s ganz schlimm wird, müssen die Eltern informiert werden und die Sache muss nötigenfal­ls sogar abgebroche­n werden. Aber bitte nicht beim ersten kleinsten Anlass! Viele Kinder sind die Bewegung in der Natur heutzutage nicht mehr gewöhnt und bekommen von kurzen Wanderunge­n schon Bein- und andere Schmerzen. Dannwollen sie natürlich gleich wieder heim. In so einem Fall geht’s dann schon darum, auch einmal etwas durchzuhal­ten.“

Das mit dem Durchhalte­n wird in vielen Familien heutzutage kaum mehr praktizier­t, meint Winterhoff. „Am Wochenende in denwald oder in dienatur zu gehen, das scheitert meistens am Protest des Kindes. Und

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