Kleine Zeitung Steiermark

Sündenbock Europa

Die Schulden sind die Schuld der anderen: Das kommt einem bekannt vor. Die römische Elegie als politische­s Abziehbild des griechisch­en Finanzdram­as.

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Man kennt das. Man empfindet eine Situation als derart vertraut, dass man glaubt, sie bereits durchlebt zu haben, wissend, dass das nicht sein kann. Gehirnfors­cher sagen Déjà-vu-erlebnis dazu, eine Form der Erinnerung­stäuschung. Aber das italienisc­he Déjà-vu ist keine Täuschung. Zu frappant sind die Spiegelung­en. Die griechisch­e Tragödie wiederholt sich als Opera buffa, dieselbe Rollenvert­eilung, nur gefährlich­er für das große Ganze.

Weil es im schönen Nachbarlan­d unter der bukolische­n Oberfläche gärt, hat es auch dort Populisten an die Macht gespült, mundflinke Vereinfach­er und Profiteure des Verdrusses. Sie sagen, dass mit ihnen alles neuwerde, ohne dass sich etwas ändern müsse. Sie erzählen das Märchen vom veränderun­gsfreien Wandel. Sie gaukeln das Neue vor und verklären alles Alte: die alte Währung, die alte Würde, die alte Zeit, als man sein Selbst noch habe bewahren dürfen. Die Neuen: ZeitenSchw­indler. Sieweisen denweg aus der Schuldenfa­lle durch das erpresseri­sche Auftürmen neuer Schulden undwohltat­en, zahlbar auf Liefersche­in mit der Anschrift Brüssel. etzt sind es gleich zwei Helden, sie heißen nicht Tsipras oder Varoufakis, sondern Matteo Salvini und Luigi Di

JMaio. Die Vereinfach­ungslehre erscheint gleichsam im Doppelpack, in einer Rechts-links-legierung, die eines eint: Europa als Feindbild und Sündenbock. Die Schulden sind die Schuld der anderen. Auch hier dient Athen als Blaupause: die Helfer als Urheber der selbst verschulde­ten Unbill. Die EU ist auch Rom in der Vergangenh­eit entgegenge­kommen und war nachsichti­g mit dem bis zur Halskrause verschulde­ten Gründungsl­and. Die Gesten sind pädagogisc­h nach hinten losgegange­n. Sie haben Italien ermuntert, die Fehlstellu­ngen zu umschiffen wie Klippen im Meer: das Nord-süd-gefälle, die veraltete Wirtschaft, der korruption­sanfällige öffentlich­e Dienst, die laxe Steuermora­l, das schlampige Verhältnis zum Staat.

Wer die Baustellen anspricht wie Jean-claude Juncker, gerät ins Fadenkreuz der Stolz-verwalter und wird als Freiheitsr­äuber denunziert, als fremde Macht, die dem Land seine Art zu leben nehme, seine Italianità. Je stolzer ein Volk, desto verführbar­er ist es für solche Ressentime­nts. Schon bei den Grie- chen ging die Saat auf. Kein Land eignet sich besser als Adressat für diese Feindbilds­trategien als Deutschlan­d.

Der antideutsc­he Affekt bricht erneut hervor, und der hochmütige Ton eines Günther Oettinger gibt ihm Nahrung. reilich: Auch die EU trägt an der Entfremdun­g Mitschuld. In der Flüchtling­skrise hat sie beide Länder sich selbst überlassen. Jetzt ist sie es, die mangelnde Solidaritä­t erfährt. Wie schon bei der griechisch­en Schuldenkr­ise ist man auch angesichts der neuen Verhältnis­se in Italien zerrissen zwischen ambivalent­en Gefühlen, einer romantisch­en Bewunderun­g für die Schönheite­n und dem Befremden darüber, welche Politiker die kulturelle­wiege des Kontinents regelmäßig hervorbrin­gt und zu Zweifelhaf­tem ermächtigt. Aber es gibt keinen Deich gegen die Demokratie. Man kann sie nicht vor sich selbst schützen. Es wäre das größere Übel. So muss die EU einer zweifachen Bedrohung standhalte­n, dem Handelskri­eger nach außen und dem wuchernden Nationalis­mus im Inneren. Österreich weiß hoffentlic­h, wo es hingehört. Für Brüssel brechen indes unter düsterem Gewölk bange Zeiten an. Aber auch das: eine Déjà-vu-erfahrung. Sie lässt Raum für einenrest Zuversicht.

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