Spiel des Jahres
MBeine Frau meint, wir gewinnen locker 5:1, und mein kleiner Sohn freut sich schon auf das erste Tor. Das Stadion ist wie auch manch Zuseher gut gefüllt, die Schlange vor dem Ausschank 30 Meter lang. Bereits beim Aufwärmen zeigt sich der Klassenunterschied. Während die einen einander brav den Ball zuschießen, zeigen die anderen Kunststücke. Nein, hier geht es nicht um Georgien gegen Österreich, sondern um den in der Regionalliga Ost tätigen Wiener Sportklub, der vergangenen Freitag den FC St. Pauli freundschaftlich empfing. ei St. Pauli denkt man nicht sofort an Fußball, sondern an Reeperbahn und Stricheleinheiten (sic). Auch die Verniedlichung eines Heiligen ist eher ungewöhnlich. Man stelle sich vor, es gebe einen heiligen Hubsi, Pezi oder Hiasi? Wer ist der heilige Pauli überhaupt? Ein Seiler, Fischsemmelverkäufer, Krabbenfänger, Peitscherlbub? Oder handelt es sich gar um eine heilige Pauline? Jedenfalls gilt der Hamburger-Kiez-Verein trotz Totenkopffahne als besonders sympathisch, weil politisch-korrekt und geerdet. Auch wenn Pauli gegen den Wiener Regionalligisten nur mit der dritten Garnitur antrat, war die Stimmung prächtig. Meine Frau brüllte „St. Pauli! St. Pauli!“und hoffte, nicht von einer Bierflasche getroffen zu werden. 7013 zahlende Zuseher. Bei Sportklub-Eckbällen und -Freistößen wurde kollektiv mit Schlüsseln geklimpert, und als tatsächlich das 1:0 für die Dornbacher fiel, war der Jubel auf der Friedhofstribüne
Sgeradezu frenetisch. Eine Weile sah es so aus, als könnten die Wiener den deutschen Zweitligisten ärgern, aber dann hat die hoch motivierte Pauli-Reserve doch 6:1 gewonnen. o könnte es morgen auch in Tiflis, im Land der heiligen George, enden. Aber unterschätzen dürfen wir die Kaukasusbewohner nicht, der heilige Georg war ein Drachentöter, und die Georgier haben erst im Juni Spanien besiegt. Um das EM-Desaster zu vergessen und erfolgreich in die WM-Quali zu starten, ist ein voller Erfolg unbedingt notwendig. Wir haben zwar weder einen Degeorgi noch einen Schurl oder Georg in der Mannschaft, aber keine Sorge, St. Georgen ist der häufigste Ortsname Österreichs, und wenn die Spieler nicht von der Weltrangliste geblendet sind, Georgien liegt fast hundert Plätze hinter uns, gibt es ein Fußballfest, das auch die Gastgeber begeistert. So war es auch beim Sportklub. Kinder stürmten auf den Rasen, Zuschauer verschmolzen mit ihrem Smartphone, mein kleiner Sohn schnappte (woher eigentlich?) den Namen Karl Daxbacher auf, worüber meine – „hierher können wir öfter kommen“– Frau herzlich lachte. Nur ich dachte an die Drachentöter in Georgien, daran, dass irgendwie jedes Spiel ein Spiel des Jahres ist. Franzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, ist Schriftsteller und Sport-Fan.