Intrigen, Festspiel-Leichen und Retter in höchster Not
Das Bayreuther Wagner-Festival geht kaum je ohne Eklat über die Bühne. Der „Parsifal“, der heute Premiere hat, bot gleich zwei – und beide könnten sich als Glücksfälle erweisen.
BAYREUTH. Es wird anders in Bayreuth in diesem Jahr – weniger pompös und sehr viel stiller. Die Festspiele gaben gestern bekannt, den Opfern des Amoklaufes von München Respekt zu zollen und bei der heutigen Eröffnung sowohl auf den Promiauflauf auf dem roten Teppich als auch auf den Staatsempfang im Anschluss an die Premiere des „Parsifal“zu verzichten.
Schon zuvor hat es ja (ungewollte) Planänderungen gegeben: Dass ein Festival, das im Jahr nur eine Premiere hervorbringt, Dirigent und Regisseur austauschen muss, ist selbst für Bayreuther Verhältnisse ungewöhnlich. Wenn der Ersatzdirigent gar erst vier Wochen vor der Premiere eingeflogen werden muss, muss man von einer Notoperation sprechen.
„Festival-Leichen“habe es immer gegeben, zitiert Bayreuths Musikdirektor Christian Thielemann nach dem plötzlichen Abgang von Andris Nelsons ein Wort, das die Brüder Wieland und Wolfgang Wagner prägten. Ihm selbst komme keinerlei Schuld am abrupten Abgang des Letten zu. Dass er ihm mit ungebetenem Rat zur Last gefallen sei – alles nur üble Unterstellungen, sagte Thielemann und unterstellt seinerseits, Nelsons sei vielleicht überfordert gewesen. Chef des Boston Symphony Orchestra, weltweit begehrter Dirigent und bald auch noch Chef des Leipziger Gewandhaus-Orchesters, das sei vielleicht zu viel gewesen für den 38-Jährigen.
Dass den sensiblen Maestro die strengen Sicherheitsvorkehrungen verjagt haben könnten, gilt als unwahrscheinlich. Die treffen und nerven alle, die heuer in Bayreuth arbeiten. Die Stadt habe das verlangt, rechtfertigt die Festspielleitung die Absperrungen rund um das Haus und die verschärften Zutrittsregeln für Mitarbeiter seit Mai. Mindestens 2,5 Millionen wird das kosten, ein Betrag, der im Budget der notorisch knappen Festspiele fehlt.
Andris Nelsons’ abrupter Abgang war nicht die erste Kalamität beim „Parsifal“. Schon 2014 trennte sich die Intendanz von Jonathan Meese, der sich erstmals als Regisseur versuchen wollte. Der Maler, der es für lustig und/oder provokant hält, den rechten Arm zum Gruß zu recken, schien dann doch eine inopportune Wahl. Uwe Eric Laufenberg, der kürzlich in Linz Wagners „Ring“und in Wien Strauss’ „Elektra“inszenierte, sprang ein. Für „Parsifal“konnte der Intendant des Theaters in Wiesbaden ein fertiges Konzept präsentieren, das ursprünglich für Köln geplant war.
So habe sie das letzte Werk ihres Ururgroßvaters noch nie gedeutet gesehen, erklärte Katharina Wagner ihre spontane Zusage. Das Christentum in bedrängtem Umfeld interessiere ihn, sagt Laufenberg und verweist auf den Film „Von Menschen und Göttern“, der das gewaltsame Ende von Mönchen in Algerien schildert.
Dass sich in so kurzer Zeit auch ein Dirigent fand, der weit mehr ist als Ersatz, ist ein Glücksfall. Hartmut Haenchen konnte Pierre Boulez einst in Bayreuth bei dessen legendärer „Ring“-Produktion assistieren, was seinen Wagner-Stil nachhaltig prägte: nüchtern, transparent, wortdeutlich, unpathetisch und straff. Seinen Parsifal kennen Musikfreunde in Amsterdam, Kopenhagen, Stuttgart und Paris bereits. Nun bringt eine Absage den 73-jährigen Dresdner endlich nach Bayreuth. Bayreuther Festspiele von heute bis 28. August. Informationen und Karten: Tel. ( 0049 921) 78 78 78 0.