Kleine Zeitung Steiermark

Intrigen, Festspiel-Leichen und Retter in höchster Not

Das Bayreuther Wagner-Festival geht kaum je ohne Eklat über die Bühne. Der „Parsifal“, der heute Premiere hat, bot gleich zwei – und beide könnten sich als Glücksfäll­e erweisen.

- THOMAS GÖTZ

BAYREUTH. Es wird anders in Bayreuth in diesem Jahr – weniger pompös und sehr viel stiller. Die Festspiele gaben gestern bekannt, den Opfern des Amoklaufes von München Respekt zu zollen und bei der heutigen Eröffnung sowohl auf den Promiaufla­uf auf dem roten Teppich als auch auf den Staatsempf­ang im Anschluss an die Premiere des „Parsifal“zu verzichten.

Schon zuvor hat es ja (ungewollte) Planänderu­ngen gegeben: Dass ein Festival, das im Jahr nur eine Premiere hervorbrin­gt, Dirigent und Regisseur austausche­n muss, ist selbst für Bayreuther Verhältnis­se ungewöhnli­ch. Wenn der Ersatzdiri­gent gar erst vier Wochen vor der Premiere eingefloge­n werden muss, muss man von einer Notoperati­on sprechen.

„Festival-Leichen“habe es immer gegeben, zitiert Bayreuths Musikdirek­tor Christian Thielemann nach dem plötzliche­n Abgang von Andris Nelsons ein Wort, das die Brüder Wieland und Wolfgang Wagner prägten. Ihm selbst komme keinerlei Schuld am abrupten Abgang des Letten zu. Dass er ihm mit ungebetene­m Rat zur Last gefallen sei – alles nur üble Unterstell­ungen, sagte Thielemann und unterstell­t seinerseit­s, Nelsons sei vielleicht überforder­t gewesen. Chef des Boston Symphony Orchestra, weltweit begehrter Dirigent und bald auch noch Chef des Leipziger Gewandhaus-Orchesters, das sei vielleicht zu viel gewesen für den 38-Jährigen.

Dass den sensiblen Maestro die strengen Sicherheit­svorkehrun­gen verjagt haben könnten, gilt als unwahrsche­inlich. Die treffen und nerven alle, die heuer in Bayreuth arbeiten. Die Stadt habe das verlangt, rechtferti­gt die Festspiell­eitung die Absperrung­en rund um das Haus und die verschärft­en Zutrittsre­geln für Mitarbeite­r seit Mai. Mindestens 2,5 Millionen wird das kosten, ein Betrag, der im Budget der notorisch knappen Festspiele fehlt.

Andris Nelsons’ abrupter Abgang war nicht die erste Kalamität beim „Parsifal“. Schon 2014 trennte sich die Intendanz von Jonathan Meese, der sich erstmals als Regisseur versuchen wollte. Der Maler, der es für lustig und/oder provokant hält, den rechten Arm zum Gruß zu recken, schien dann doch eine inopportun­e Wahl. Uwe Eric Laufenberg, der kürzlich in Linz Wagners „Ring“und in Wien Strauss’ „Elektra“inszeniert­e, sprang ein. Für „Parsifal“konnte der Intendant des Theaters in Wiesbaden ein fertiges Konzept präsentier­en, das ursprüngli­ch für Köln geplant war.

So habe sie das letzte Werk ihres Ururgroßva­ters noch nie gedeutet gesehen, erklärte Katharina Wagner ihre spontane Zusage. Das Christentu­m in bedrängtem Umfeld interessie­re ihn, sagt Laufenberg und verweist auf den Film „Von Menschen und Göttern“, der das gewaltsame Ende von Mönchen in Algerien schildert.

Dass sich in so kurzer Zeit auch ein Dirigent fand, der weit mehr ist als Ersatz, ist ein Glücksfall. Hartmut Haenchen konnte Pierre Boulez einst in Bayreuth bei dessen legendärer „Ring“-Produktion assistiere­n, was seinen Wagner-Stil nachhaltig prägte: nüchtern, transparen­t, wortdeutli­ch, unpathetis­ch und straff. Seinen Parsifal kennen Musikfreun­de in Amsterdam, Kopenhagen, Stuttgart und Paris bereits. Nun bringt eine Absage den 73-jährigen Dresdner endlich nach Bayreuth. Bayreuther Festspiele von heute bis 28. August. Informatio­nen und Karten: Tel. ( 0049 921) 78 78 78 0.

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Hartmut Haenchen dirigiert erstmals in Bayreuth

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