Kleine Zeitung Steiermark

Der Ton wird härter – aber auch ehrlicher

Europas Interessen­konflikte treten offen zutage.

- THOMAS GÖTZ

Die Dichte der Depeschen, die zwischen Berlin, Brüssel und Wien kursieren, nimmt zu. Schmähunge­n, Schuldzuwe­isungen und harsche Scherze, die nicht witzig gemeint sind, wechseln sich ab. Das muss nicht das Schlechtes­te sein. Lange genug hatten die europäisch­en Nationen versucht, ihre massiven Interessen­konflikte hinter einer Gemeinscha­ftsrhetori­k zu verbergen, die keinen Sitz im Leben hatte. Beim Zusammenpr­all mit der Wirklichke­it platzen jetzt die Worthülsen. Der Ton ist härter geworden, damit aber auch ehrlicher.

Warum eigentlich sollte es skandalös sein, wenn sich Länder, die von einer Krise betroffen sind, vor einer wichtigen Sitzung miteinande­r abstimmen? Griechenla­nd und Deutschlan­d fanden, sie hätten zur Balkan-Konferenz nach Wien geladen sein müssen. Warum eigentlich? Die dazwischen­liegenden Länder haben ähnlich gelagerte Interessen, die nicht mit denen Griechen- lands und Deutschlan­ds übereinsti­mmen. Griechenla­nd hat lange keine Hilfe angenommen und so den Bau von Hot-Spots verzögert, die ein wichtiger Baustein für die europäisch­e Lösung gewesen wären. Deutschlan­d lehnt zwar die österreich­ische Obergrenze entrüstet ab, ereifert sich aber zugleich darüber, dass wir Flüchtling­e nach Deutschlan­d weiterleit­en.

Nüchtern betrachtet gäbe es für das Nachbarlan­d keine bessere Lösung als eine vollständi­ge Abdichtung der Grenze durch Österreich und/oder die vorgelager­ten Staaten. Das hätte der Regierung in Berlin erlaubt, ihre Rhetorik unveränder­t beizubehal­ten, ohne die Konsequenz­en tragen zu müssen. Da aber Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner eine sehr hoch angesetzte Tagesquote für Durchreise­nde nach Deutschlan­d angesetzt hat, muss Deutschlan­d nun diese Schleuse selber schließen. Will es das nicht, müsste es wenigstens ausdrückli­ch die Quote definieren, die vorgelager­te Länder in seinem Interesse berücksich­tigen sollten – ein peinlicher Gesichtsve­rlust, eine Wende, die zu vollziehen man sich gerne erspart hätte.

Dass seit 1. Jänner dieses Jahres 5600 Menschen aus Deutschlan­d wieder zurückgesc­hickt wurden, gehört zum Doppelspie­l dazu. Damit erhöht Berlin den Druck auf Österreich, jene Maßnahmen zu setzen, die ausdrückli­ch zu fordern man sich geniert. eshalb ist die anschwelle­nde Lautstärke der Debatte eine gute Nachricht. Der Lärm bedeutet, dass sich die Auseinande­rsetzung langsam den schmerzhaf­ten Druckpunkt­en nähert.

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