Der Ton wird härter – aber auch ehrlicher
Europas Interessenkonflikte treten offen zutage.
Die Dichte der Depeschen, die zwischen Berlin, Brüssel und Wien kursieren, nimmt zu. Schmähungen, Schuldzuweisungen und harsche Scherze, die nicht witzig gemeint sind, wechseln sich ab. Das muss nicht das Schlechteste sein. Lange genug hatten die europäischen Nationen versucht, ihre massiven Interessenkonflikte hinter einer Gemeinschaftsrhetorik zu verbergen, die keinen Sitz im Leben hatte. Beim Zusammenprall mit der Wirklichkeit platzen jetzt die Worthülsen. Der Ton ist härter geworden, damit aber auch ehrlicher.
Warum eigentlich sollte es skandalös sein, wenn sich Länder, die von einer Krise betroffen sind, vor einer wichtigen Sitzung miteinander abstimmen? Griechenland und Deutschland fanden, sie hätten zur Balkan-Konferenz nach Wien geladen sein müssen. Warum eigentlich? Die dazwischenliegenden Länder haben ähnlich gelagerte Interessen, die nicht mit denen Griechen- lands und Deutschlands übereinstimmen. Griechenland hat lange keine Hilfe angenommen und so den Bau von Hot-Spots verzögert, die ein wichtiger Baustein für die europäische Lösung gewesen wären. Deutschland lehnt zwar die österreichische Obergrenze entrüstet ab, ereifert sich aber zugleich darüber, dass wir Flüchtlinge nach Deutschland weiterleiten.
Nüchtern betrachtet gäbe es für das Nachbarland keine bessere Lösung als eine vollständige Abdichtung der Grenze durch Österreich und/oder die vorgelagerten Staaten. Das hätte der Regierung in Berlin erlaubt, ihre Rhetorik unverändert beizubehalten, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Da aber Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eine sehr hoch angesetzte Tagesquote für Durchreisende nach Deutschland angesetzt hat, muss Deutschland nun diese Schleuse selber schließen. Will es das nicht, müsste es wenigstens ausdrücklich die Quote definieren, die vorgelagerte Länder in seinem Interesse berücksichtigen sollten – ein peinlicher Gesichtsverlust, eine Wende, die zu vollziehen man sich gerne erspart hätte.
Dass seit 1. Jänner dieses Jahres 5600 Menschen aus Deutschland wieder zurückgeschickt wurden, gehört zum Doppelspiel dazu. Damit erhöht Berlin den Druck auf Österreich, jene Maßnahmen zu setzen, die ausdrücklich zu fordern man sich geniert. eshalb ist die anschwellende Lautstärke der Debatte eine gute Nachricht. Der Lärm bedeutet, dass sich die Auseinandersetzung langsam den schmerzhaften Druckpunkten nähert.
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