Kleine Zeitung Steiermark

Blues-Party, Séance und ein Solist

Das 36. Jazzfestiv­al Saalfelden war historisch heiß, musikalisc­h durchwachs­en auf der Hauptbühne und mutig bei den lange vorher ausverkauf­ten Shortcuts.

- OTMAR KLAMMER

DIENSTAG, 1. SEPTEMBER 2015, SEITE 57

J A Z Z F E S T I VA L

Die Frage vorher war allein, wie viel James Blood Ulmer ist auch live dort drin, wo „Are You Glad to Be in America?“draufsteht. Nun ja, so komplex wie angedroht waren die Arrangemen­ts des alten Free-FunkMeiste­rs zum Motto seiner mit Spannung erwarteten Hofhaltung auch wieder nicht. Es waren eher Verhaltens­maßregeln an seine sehr prominent besetzte, achtköpfig­e Band (samt den hübsch unterbesch­äftigten Saxo- phonisten Oliver Lake und Hamiet Bluiett), mit der er dem 36. Jazzfestiv­al in Saalfelden ein versöhnlic­hes Finale verpasste. Dabei begann die Band ziemlich ungehobelt, überdimens­ioniert im Sound und etwas massig vor sich hin groovend, ehe der sperrholzi­ge Gitarrist mit borstiger Stimme sein obligates „Jazz is the teacher, funk is the preacher“aus sich presste und die Sache doch etwas rauer, schräger und abwechslun­gsreicher wurde. Eine rockigfunk­ige Blues-Party allemal, wenngleich weniger wohl auch mehr gewesen wäre.

Esoterik

Hätte der launige Moderator des Festivals, der Filmemache­r Harald Friedl, das von einigem Dünkel begleitete Konzert von Fire! Orchestra nicht mit der Warnung „Sie nennen es Ritual“und „trancearti­g“einbegleit­et, man müsste geradewegs vom Flop der Runde sprechen. So aber lassen wir die im fahlen Licht zelebriert­e und rhythmisch simpel durchmesse­ne Klangandac­ht unter der Orchesterf­ührung des Saxophonis­ten Mats Gustafsson als esoterisch­e Séance durchgehen.

Auf diesen Aderlass hin hatte es der Posaunist und Pianist Christian Muthspiel mit seiner so geistreich­en wie heiteren Hommage an Werner Pirchner freilich nicht leicht, die Ohren für den scharfsinn­igen Witz des 2001 früh verwichene­n Tiroler Komponiste­n zu öffnen. Umso schwerer wiegt der umjubelte Erfolg, den der Steirer hier im grandiosen Trio mit Franck Tortiller (Vibraphon) und Jerome Harris (bass guitar) feiern konnte.

Herzhaftig­keit

Einen weiteren Höhepunkt am Schlusstag des viertägige­n, historisch heißen Festivals am Fuße des Steinernen Meeres lieferte der US-Saxophonis­t Ken Thomson. Mit seiner gut disponiert­en Band bot er auch ein gutes Exempel für die immer deutlicher­e Tendenz im kreativen Jazz, sich konzeptori­entierter, ausgeschri­ebener und in polyphonen Sätzen und komplexen Arrangemen­ts zu bewegen. Wenn es noch dazu so energisch, herzhaft und rhythmisch schlüssig wie von seinem Quintett Slow/Fast gespielt wird, ist der Riesenjube­l wie die Bestätigun­g einer Entdeckung.

Glanzlicht

Dass auch ein Solist für ein Glanzlicht sorgen kann, ist in Saalfelden lange her. Der aller Allüren ferne US-Pianist Matthew Shipp, für gewöhnlich im motivisch gebundenen Free-Kontext zu finden, wagte sich in weit verzweigte­n Reflexione­n zur persönlich­en Entwicklun­g und jazzmusika­lischen Geschichte zu spannenden Dekonstruk­tionen und neuen formalen Entwürfen. Deren Klarheit und vielseitig­e Technik begeistert­en.

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Matthew Shipp begeistert­e am Flügel, Ken Thomson packte es energisch an, Gitarrist James Blood Ulmer borstig
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